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Frucht der Sünde

Frucht der Sünde

Titel: Frucht der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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weggeweht werden konnten, aufgelöst in einen weißen Schauer aus tanzenden Schneeflocken, bis einen schließlich die Mondstrahlen aufsaugten und man von keinem Sterblichen mehr gesehen werden konnte.
    Ein Plumps brachte sie zum Stehenbleiben.
    Jane bückte sich, der Gegenstand rollte fast bis vor ihre Füße. Sie hob ihn auf. Er war klein und seine Haut weich und runzelig wie die Wangen einer sehr alten Frau.
    Sie hielt ihn auf ihrer Handfläche. Er war nicht größer als eine Billardkugel, wenn auch viel leichter. Er musste den ganzen Winter da oben am Baum gehangen haben. Vielleicht war er der Einzige. Den ganzen Winter, und die Vögel hatten nicht daran gepickt.
    Lucys Büchern zufolge galt in fast ganz England ein einzelner Apfel, der den Winter über am Baum hängen blieb, als Vorbote des Todes.
    Eine Blüte am Baum, wenn die Äpfel sind reif,
    Ist das sichere Ende von jemandes Zeit.
    Dass es sich nicht richtig reimte, war laut Lucy ein Beweis dafür, dass diese Weisheit zutraf.
    Und was bedeutete es, wenn ein überreifer Apfel den Winter überstand und dann von einem über und über blühenden Baum fiel?
    Jane rief sich den Abend in Erinnerung. Die Bilder flogen durch ihren Kopf wie ein Video, das im Schnelllauf zurückgespult wird. Der Film hielt in dem Moment an, in dem ihre Mutter in der Kirche kniete, sich mit Spuren von Erbrochenem an den Lippen vorbeugte und dann den Blick hob.
    Janes Arm zuckte zurück, und sie schleuderte den mumifizierten Apfel so weit weg, dass sie ihn nicht landen hörte. Dann drehte sie sich um und rannte den ganzen Weg bis zum Pfarrhaus.

Teil drei
    Wesenlose Erscheinungen verlocken die Seele dein   …
     
    Thomas Traherne,
    Die Anleitung

27   Senkrechtstarter
    Sechs Uhr morgens und schon ganz hell, wenn auch bewölkt und kühl. Eine kleine, heftige Böe blies Apfelblüten über die Friedhofsmauer, an der die Anschlagtafel der Gemeinde hing.
    Ein Poster kündigte die Eröffnung des Festivals an, das entgegen Dermot Childs Old-Cider-Vorschlag seinen prosaischen Titel Ledwardine Sommer-Festival behalten hatte, weil die meisten Plakate schon gedruckt gewesen waren. Über dieses Poster war eine kleinere Ankündigung gehängt worden.
    Sonder-Mitternachtsgottesdienst
     
    Hochwürden Merrily Watkins
    hält eine
    SCHWARZE MESSE
     
    (Eigene Spucktüten mitbringen)
    Merrily starrte den Zettel ein paar Sekunden lang entsetzt an, bevor sie seinen Sinn verstand: Es war schon oft behauptet worden, dass jemand, dem in der Kirche schlecht wird, ein Satanist ist.
    Vielleicht war das nur ein schlechter Scherz von einem Schüler. Vielleicht würde Jane am Montag, wenn die Geschichte in der Schule herumging, verspottet werden. Merrily riss den Zettel ab, knüllte ihn zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. Andernfalls hätte sie vor Wut getobt.
    Aber das Lächeln verging ihr, als sie an die Trauerkarte dachte, auf der gestanden hatte:
Wil Williams war ein Diener des Teufels
. Dieser Zettel konnte von derselben Person stammen. In diesem Fall war es vermutlich kein Schülerstreich, sondern eher Teil der Kampagne, falls es eine gab, die sie dazu bringen sollte, Coffeys Stück nicht in der Kirche aufführen zu lassen.
    Eigentlich war sie schon entschlossen gewesen, Stefans Besessenheit keine weitere Nahrung zu geben und ihre Entscheidung bei dem Empfang nach dem Gottesdienst zu ihrer Amtseinführung bekannt zu geben.
    Doch das war gestern gewesen. Bevor sie irgendeine
Erscheinung
, die sie nicht kontrollieren konnte, daran gehindert hatte, ihren Amtseid abzulegen, sodass sie nun als schwache, unsichere Frau galt, die keinesfalls dazu geeignet war, den Platz des guten, alten, zuverlässigen Alf Hayden einzunehmen. Vielleicht wollte die Gemeinde sie wirklich nicht. Sollten Geistliche solche ‹Omen› überhaupt zur Kenntnis nehmen, oder fielen sie in die Zuständigkeit von Anthropologen und Sozialhistorikern, genau wie Spukgeister in die Zuständigkeit von Psychologen fielen? Noch etwas, worüber sie an der Theologischen Fakultät nie gesprochen hatten.
    Merrily zitterte in ihrer falschen Barbourjacke. Sie hatte Hunger. Sie war müde. Es war nach zwei Uhr morgens gewesen, als sie Jane durch die Vordertür hatte nach Hause kommen hören.
    Sie bohrte die Hände in die Jackentaschen und ging mit gesenktemKopf zum Marktplatz. Ein paar Autos parkten immer noch dort, und eines davon war ein Einsatzwagen der Polizei. War es bei der Party zu Sachbeschädigungen gekommen? Oder hatte es einen Einbruch

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