Frucht der Sünde

Wenn er jetzt anfing zu heulen, wäre das wie ein Geständnis. Der Sexverbrecher bricht zusammen.
    «Na gut.» Er stand auf. «Ich gehe, und Sie rufen die Polizei. Oder ich gehe einfach in mein Cottage und warte, bis sie kommen. Ich werde ihnen nicht erzählen, dass ich hier war. – Könnte ich Sie trotzdem noch um einen Gefallen bitten? Würden Sie sich um Ethel kümmern? Nicht für lange natürlich. Wenn Sie Lucy Bescheid sagen, holt sie die Katze gleich ab. Ich meine, wenn sie   … mich mitnehmen.»
    «Ach, verdammt.» Merrily schloss erschöpft die Augen. «Können Sie eigentlich nie irgendetwas direkt sagen? Erzählen Sie mir von dieser Tracy   …»
    «Cooke», sagte Lol. «Tracy Cooke.»
     
    Es hatte aufgehört zu regnen, aber es war windig geworden. Jane wandte sich zitternd vom Pfarrhaus ab. Das helle Licht im Fenster war wieder verschwunden. Es war kein reales Licht gewesen, oder?
    Nicht realer als die kleinen Lichter im Apfelgarten.
    Sie musste über alles nachdenken, herausfinden, was real war und was nicht.
    Der Marktplatz stand voller fremder Autos, darunter waren zwei Polizeiwagen und ein rotes Auto mit einer Antenne auf dem Dach – vermutlich ein Übertragungswagen des regionalen Radiosenders, und er war sicher nicht wegen der Eröffnung des Festivals gekommen. War Colette eine Nachricht wert? Ein Mädchen, das von ihrer Geburtstagsparty verschwand? Ja, wahrscheinlich schon.
    Die Vorbereitungen zur Eröffnung des Festivals waren in vollem Gange. Dermot Child, Lloyd Powell und Onkel Ted liefen aufgeregt auf dem Platz herum. Ihre Mienen waren ernster, als sie es hätten sein sollen. Vor der Markthalle war eine kleine Bühne errichtet worden, daneben stand ein Transporter wie der von Dr.   Samedi, nur dass auf seinem Dach Lautsprecher waren.
    «Willkommen   … zum   … Kar   … ne   … val!»
    Die ganze Atmosphäre war so merkwürdig. Als wäre ganz Ledwardine in einer dieser Glaskugeln und jemand würde sie schütteln und alles würde durcheinandergewirbelt, aber wenn alles wieder zur Ruhe käme, wäre nichts mehr, wie es vorher war.
    In den kleinen Glaskugeln wurde Schnee herumgewirbelt, hier waren es Apfelblüten. Sie waren überall, wurden vom Wind durch die Luft getrieben und wirkten unter dem trüben Himmel sehr weiß.
    Die Weltkugel war geschüttelt worden, und der Apfelgarten war ins Dorf zurückgekehrt.
    Dieser Gedanke ließ Jane erschauern. Es kam ihr vor, als müssesie sich an einem Pfosten des Marktkreuzes festhalten, um nicht mit den Blüten weggeweht zu werden. Wie schon einmal.
    An dem Pfosten hing ein neues Plakat, auf dem Dermot Childs Chorstück angekündigt wurde.

    Lol erzählte. Es schien ihm sehr schwer zu fallen, und falls er schauspielerte, war er ziemlich gut. Er redete, als habe er das alles noch nie zuvor laut ausgesprochen.
    Merrily hoffte, dass Jane nicht zurückkommen würde, bevor er fertig war.
    Tracy Cooke war damals fast fünfzehn Jahre alt gewesen. Sie hatte eine Freundin namens Kath Hurley, die sechzehn war, auch wenn alle Welt sie für über zwanzig hielt. Tracy schminkte sich, weil sie genauso erwachsen wirken wollte. Merrily versuchte, sich nicht Jane und Colette in ihren Rollen vorzustellen.
    Tracy und Kath wohnten in Banbury in Oxfordshire. Sie liebten Rockmusik und gingen so oft wie möglich zu Konzerten. Danach versuchten sie – vor allem Kath   –, mit den Musikern zu reden. Eines Abends fuhren sie nach Oxford, um sich eine Band namens Hazey Jane anzusehen, die ruhige Lieder mit Akustikgitarre spielte. Diese Art von Musik war damals nicht sehr erfolgreich und das Konzert nur spärlich besucht, sodass Tracy und Kath keine Schwierigkeiten hatten, mit den Typen von der Band ins Gespräch zu kommen.
    Karl, der Bass und Keyboard spielte, war sehr extrovertiert und spendabel und fragte die Mädchen schließlich, ob sie nicht Lust hätten, zum Abendessen mit ins Hotel zu kommen. Abendessen, sagte er. Sehr schlau. Damit würde er Tracy und Kath überzeugen.
    Wie sich herausstellte, wohnten nur zwei der Bandmitgliederin dem Hotel, nämlich Karl selbst und der Sänger, Lol. Und der war es auch, den Kath richtig toll fand, wenn er auch ziemlich jung aussah.
    Aber Karl, der die Situation fest im Griff hatte, fand eben Kath toll, weil sie von den beiden Mädels nämlich am besten aussah, und deshalb sorgte er dafür, dass Lol in dem Hotel, das eigentlich ein Pub mit Gästezimmern war, neben Tracy saß. Und als sich Karl und Kath an den Tresen setzten,