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Frucht der Sünde

Frucht der Sünde

Titel: Frucht der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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zerfleischten Körper bis zur Ununterscheidbarkeit vermengt.
    Dann hörte sie wie von weit her eine Stimme. «Wir müssen hier raus. Wir müssen hier raus. Jane, ist alles in Ordnung mit dir?»
    Jane versuchte, die Bilder zu vergessen, die in den letzten dreißig Sekunden auf sie eingestürmt waren, und darüber nachzudenken, aus welchem Grund Bella von der Straße abgekommen war.
    «Auf meiner Seite kann ich nicht aussteigen», sagte Bella. Sie hatte ihren Samthut nicht mehr auf dem Kopf, und ihr Gesicht war blutverschmiert. Jane drückte mühsam die Beifahrertür auf, und sie stiegen vorsichtig aus. Das Auto stand quer auf der Straße. Etwa eine halbe Meile entfernt ragte Ledwardines Kirchturm in die Höhe. Bella lehnte sich mit dem Rücken an das Auto und fasste sich ins Gesicht.
    «Oh, scheiße», sagte sie. Das Fenster auf der Fahrerseite war ganz geöffnet gewesen, und die Zweige hatte Bellas ungeschützte Wange getroffen. «Mein Gesicht brennt wie Feuer.» Sie lächelte Jane schwach an. «Trotzdem, wir leben ja noch. Auch wenn ich wahrscheinlich für immer entstellt bin. Außerdem   … Oh.»
    Sie ließ sich mit dem Rücken gegen das Auto sinken. Jane und Bella sahen sich an. Die Sonne wirkte jetzt fast winterlich. Weiß stand sie an einem zinnfarbenen Himmel. Jane war, abgesehen von dem schmerzenden Knöchel, an dem sie das Aufnahmegerät getroffen hatte, nicht verletzt. Trotzdem war ihr schlecht vor Angst, denn sie dachte wieder daran, was sie auf der Straße hatte liegen sehen. Was jetzt hinter dem BB C-Auto lag.
    Jane sagte leise: «Ich schaue nach.»
    «Nein.» Bella stieß sich vom Auto ab. «Du bleibst hier.»
    Aber sie wussten beide, dass sie zusammen gehen würden. Jane lief am Kofferraum um das Auto herum, Bella an der Kühlerhaube. Im Wagen klingelte Bellas Handy. Doch sie achteten nicht darauf.
    Jane sah zuerst die Augen des toten Schafes. Es lag wie ein weißes Bündel vor ihr, so wie manchmal eines tot auf der Weide liegt, nachdem es ohne ersichtlichen Grund gestorben ist. Dasarme Schaf. Sie sollten auf einer grünen Wiese sterben, nicht hier auf dem Asphalt, nur weil die blöden Bauern keine ordentlichen Zäune aufstellen wollten. «Armes Schaf», sagte Jane laut, als wäre, wenn sie nur all ihr Mitleid auf das Schaf richtete, alles andere in Ordnung.
    «Oh Gott», sagte Bella.
    Dort, wo sie stand, war ein bisschen Blut auf der Straße. Nicht viel. Es war ein Stück von dem Schaf entfernt, und es lag ein weiteres Bündel dort. Darüber war ein schwarzweiß gemusterter Stoff gebreitet. Darunter sickerte Blut hervor.
    Jane starrte nur. Sie wollte nicht denken. Es war Stoff. Und unter diesem Stoff war gar nichts. Sie kannte das Muster. Es war nur Stoff.
    «Oh nein», sagte sie und spürte, wie sich ihre Lippen vor Schock und Schmerz anspannten. «Nein   …»
    «Sieh es dir nicht an», sagte Bella. «Ich mach das.»
    Aber Jane war schon in die Hocke gegangen und hatte den Stoff angehoben. Aus dem Augenwinkel sah sie einen Reifen in der Hecke.
    Jane sah hin. Sie konnte den Blick nicht mehr abwenden.
    Unter dem leichten Wollstoff lag der Kopf der alten Kämpferin seitlich auf der Straße. Die Lippen unter der Hakennase waren geschlossen und das eine, aufgerissene Auge ebenso ausdruckslos wie das Auge des Schafes. Auf dem wettergegerbten Gesicht war schon etwas Blut angetrocknet.
    Als sie von dem Moped gefallen war, hatte sich ihr leichter Poncho wie eine Decke über sie gelegt.
    Bella war zurück zum Auto gelaufen und telefonierte.
    «Nein», sagte Jane. «Nein.»
    Sie hatte sich auf den Boden gesetzt. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie war sicher, dass Lucy atmete. Sie musste atmen. Sie legte ihren Kopf an Lucys Brust. Das Herz schlug doch, oder?
    Jane sah zum Himmel hinauf, der sich ungerührt über ihr wölbte. Und mit tränenblindem Blick schrie sie den gleichgültigen, herzlosen und selbstgerechten Scheißgott ihrer Mutter an.

33   Abergläubischer Mist
    Aus dem Fenster der Eingangshalle schaute Lol ihr nach, wie sie mit hochgezogenen Schultern Richtung Marktplatz ging. Er sah sich nach Ethel um, aber sie war wieder in der Tiefe des leeren Hauses verschwunden, in dem er jetzt in der Falle saß. Er konnte nichts tun, als in der Küche im Kreis herumzulaufen und sich zu fragen, wie man bloß so ein erbärmlicher Versager sein konnte.
    Er dachte an seinen Selbstmordplan. Wie viel Zeit hatte er damit verbracht, zu überlegen, auf welche Art er Alison zum Cottage locken könnte.

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