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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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schon daran, das ganze Dorf hat keinen andern Erwerb, und man muß nur sehen, wie das alles organisiert ist, damit sie ihrer so viele als möglich begraben. Ich stehe Ihnen dafür gut, daß die lebende Ware nicht lange liegen bleibt. Je mehr sterben, desto mehr kommen, und desto mehr verdient man dabei. Da begreift man, nicht wahr, daß die Couteau gierig ist, jedesmal, wenn sie herkommt, so viele mitzunehmen als sie kann?«
    Sie berichtete alle diese furchtbaren Dinge in der entsetzten Weise eines einfachen Mädchens, das in Paris noch nicht lügen gelernt hatte; sie sagte alles, was sie wußte.
    »Früher soll es gar noch schlimmer gewesen sein. Ich habe meinen Vater erzählen hören, daß zu seiner Zeit die Zuführerinnen vier oder fünf Kinder auf einmal mitbrachten: förmliche Pakete, die sie mit Schnüren umwickelten und unter den Armen trugen. In den Bahnhöfen legten sie sie der Reihe nach auf die Bänke der Wartesäle; einmal hat eine Zuführerin aus Rougemont sogar eins vergessen, und es entstand eine ganze Geschichte daraus, weil man das Kind dann tot fand. Dann mußte man sehen, wie in den Coupés die kleinen Wesen zusammengedrängt waren und vor Hunger schrien. Besonders im Winter, bei strengem Frost, war es jammervoll, wie sie zitterten, blau vor Kälte, kaum bedeckt von zerrissenen Windeln. Manchmal starb eins, und man schaffte die kleine Leiche auf der nächsten Station heraus und begrub es auf dem nächsten Friedhof, Sie können sich vorstellen, in welchem Zustande die ankamen, die nicht auf dem Wege starben. Bei uns pflegt man die Schweine besser, man würde sie nicht in solcher Weise transportieren. Mein Vater sagte, es wäre gewesen, daß die Steine hätten weinen mögen. Jetzt freilich ist die Aufsicht strenger, und die Zuführerinnen dürfen nicht mehr als ein Kind auf einmal mitnehmen. Sie schwindeln allerdings und nehmen zwei; dann haben sie Helferinnen und bedienen sich auch derer, die gerade mit ihnen heimfahren. So gebraucht die Couteau allerlei Kunstgriffe, um das Gesetz zu umgehen. Um so leichter, als ganz Rougemont die Augen zudrückt, denn sie sind alle zu sehr daran interessiert, daß das Geschäft geht, und haben nur die eine Furcht, daß die Polizei die Nase hineinsteckt. – Ach ja, die Regierung mag 225 Inspektoren jeden Monat hinsenden so viel sie will, Ausweisbücher verlangen, die Unterschrift des Bürgermeisters, das Siegel der Gemeinde – das ist gerade, als ob der Wind wehte. Das hindert die guten Weiber nicht im geringsten, ruhig ihr Geschäft weiter zu verfolgen, so viel Kinder in die andre Welt zu expedieren als sie können. Wir haben in Rougemont eine Cousine gehabt, die uns eines Tages sagte: »Die Malivoire, die hat Glück, letzten Monat hat sie wieder vier verloren.«
    Victoire hielt einen Augenblick inne, um ihre Nadel einzufädeln. Norine weinte noch immer. Mathieu, stumm vor Grauen, hörte zu, den Blick auf das schlafende Kind geheftet.
    »Freilich,« fuhr das Mädchen fort, »erzählt man heute weniger Geschichten über Rougemont als früher. Aber auch das, was erzählt wird, ist genug, um es einem für immer zu verleiden, Kinder zu haben. Wir kennen so drei oder vier Pflegerinnen, die nicht sehr viel wert sind. Natürlich ist das Aufpäppeln mit der Flasche die Regel, und wenn Sie die Flaschen sehen könnten, die niemals gereinigt werden, vor Schmutz kleben, im Winter gefrorene, im Sommer geronnene Milch enthalten! Die Vimeux findet sogar, daß das Aufpäppeln mit Milch zu kostspielig ist, und nährt alle ihre Kinder mit Grütze; das expediert sie schneller, sie haben alle große aufgedunsene Bäuche, daß man glaubt, sie müßten platzen. Bei der Loiseau herrscht ein solcher Schmutz, daß man sich die Nase zuhalten muß, wenn man zu dem Winkel hingeht, wo die Kinder auf alten Fetzen in ihrem Unrat liegen. Bei der Gavette geht die Frau mit ihrem Manne tagsüber aufs Feld, so daß die drei oder vier Kinder, die sie immer in Pflege hat, dem Großvater überlassen sind, einem Greis von siebzig Jahren, der sich nicht rühren kann, und nicht einmal im stande ist, die Hühner zu verhindern, daß sie den Kindern in die Augen picken. Noch besser ist es bei der Canchois, die, da sie gar niemand hat, um sie zu bewachen, die Kinder in den Wiegen festbindet, damit sie nicht herausfallen. Und in welches Haus des Dorfes immer Sie kommen mögen, so werden Sie überall dasselbe finden. Es giebt nicht eine Familie, die nicht mit dieser Ware handelt. Um uns herum gibt es Gegenden,

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