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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wo man Spitzen macht, andre, wo man Käse macht, andre wo man Apfelwein macht. In Rougemont macht man tote Kinder.« Sie unterbrach plötzlich ihr Nähen und sah Mathieu mit ihren hellen Augen und ihrem unschuldigerschrockenen Blicke an.
    »Aber die alle übertrifft, das ist die Couillard, eine alte Diebin, die einmal sechs Monate im Gefängnisse gesessen hat, und die nun etwas außerhalb des Dorfes, nahe am Waldesrande wohnt. Noch nie hat ein Kind lebend das Haus der Couillard verlassen. Das ist ihre Spezialität. Wenn man eine Zuführerin, die Couteau zum Beispiel, der Couillard ein Kind bringen sieht, so weiß man sofort, was das zu bedeuten hat. Die Couteau hat dann sicherlich den Tod des Kindes vereinbart. Dies geschieht auf eine sehr einfache Weise. Die Eltern geben eine Summe von zweioder dreihundert Franken, wogegen das Kind bis zur ersten Kommunion behalten werden soll; selbstverständlich stirbt es dann innerhalb acht Tagen. Man braucht nur ein Fenster offen zu lassen; mein Vater hat eine Pflegerin gekannt, die im Winter, als sie gerade sechs Pfleglinge hatte, die Tür angelweit öffnete, und dann einfach fortging … So bin ich auch zum Beispiel überzeugt, daß das Kleine von nebenan, das die Couteau jetzt eben holen ging, zu der Couillard gebracht wird, denn ich war zugegen, als Mademoiselle Rosine gestern mit ihr das Uebereinkommen traf, daß sie eine Abfindung von vierhundert Franken bezahlt, und daß sie sich dann um nichts mehr zu kümmern hat.«
    Sie konnte nichts mehr sagen, denn die Couteau kam allein, ohne Madame Bourdieu, zurück, um Norines Kind mitzunehmen. Diese, durch die Geschichten Victoires von ihrem Kummer abgezogen, weinte nicht mehr und hörte mit gespanntem Interesse zu. Aber als sie die Couteau sah, vergrub sie das Gesicht wieder in ihre Kissen, als ob sie von Furcht ergriffen wäre und nicht die Kraft hätte, zuzusehen, was geschehen würde. Mathieu hatte sich erhoben, auch er war tief erregt.
    »Also, es ist abgemacht, ich nehme ihn mit,« sagte die Couteau. »Madame Bourdieu hat mir die Daten auf ein Papier geschrieben, den Geburtstag und den Bezirk. Ich brauche aber noch die Vornamen. Wie wollen Sie ihn nennen lassen?«
    Norine antwortete nicht gleich. Dann sagte sie mit leidender, durch das Polster erstickter Stimme: »Alexandre.«
    »Gut, Alexandre. Aber Sie täten gut, ihm noch einen Namen zu geben, damit Sie ihn leichter wiederfinden können, wenn Sie eines Tages Lust bekämen, ihm nachzuforschen.«
    Wieder mußte man Norine die Antwort entreißen. »Honoré«.
    »Gut also, Alexandre Honoré. Der zweite Name ist der Ihrige, nicht wahr, und der erste der des Vaters? – Das wäre also abgemacht, ich habe nun alles, was ich brauche. Aber es ist bereits vier Uhr, und ich komme unmöglich zum SechsUhrZug zurecht, wenn ich nicht einen Wagen nehme. Es ist am andern Ende der Welt, jenseits des Luxembourggartens. Und ein Wagen kostet Geld. Was machen wir da nur?«
    Während sie so sprach, um zu sehen, ob sie diesem von Kummer bedrückten Mädchen nicht noch etwas Geld erpressen könnte, entschloß sich Mathieu plötzlich, seine Mission bis zum letzten Punkte durchzuführen und die Frau selbst bis zum Findelhaus zu begleiten, um Beauchêne versichern zu können, daß das Kind in seiner Gegenwart dort abgegeben worden sei. Er erklärte ihr also, daß er einen Wagen nehmen und sie dahin bringen wolle.
    »Sehr wohl, damit bin ich aus der Verlegenheit. Gehen wir also. Es ist schade, ihn aufzuwecken, den Kleinen, so gut schläft er. aber wir müssen ihn doch wohl einwickeln, da es nun einmal so ist.«
    Mit ihren dürren, geschäftskundigen Händen ergriff sie das Kind, vielleicht ein wenig zu rauh, ihre gewohnte schmeichlerische Gutmütigkeit vergessend, da sie bloß den Auftrag hatte, es der Konkurrenz zu überbringen. Es erwachte und fing heftig zu schreien an.
    »Na, das kann gut werden, wenn er uns den ganzen Weg über die Musik macht! – Schnell, gehen wir!«
    Mathieu hielt sie noch zurück. »Norine, wollen Sie ihm keinen Kuß geben?«
    Beim ersten Schrei des Kindes hatte sich das betrübte Mädchen noch tiefer in die Kissen vergraben und sich die Hände vor die Ohren gehalten, um nichts zu hören.
    »Nein, nein, tragen Sie ihn fort, tragen Sie ihn gleich fort, fangen Sie nicht wieder an, mich zu quälen!«
    Sie drückte die Augen zu und stieß mit den Händen die Gestalt zurück, mit der man sie verfolgte. Als sie jedoch fühlte, daß die Frau das Kind aufs Bett legte, erzitterte

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