Fruchtbarkeit - 1
diese Wiege, in welcher das schwache Geschöpf ruhte. Es war ein schönes Kind, schon weiß und rosa; aber man mußte der Vater und die Mutter sein, um sich so mit diesem Lallen, mit diesem kaum vollendeten Geschöpfe von unbestimmten Formen zu befassen. Nun öffnete er die Augen, noch ohne Blick, noch erfüllt von dem Mysterium, aus dem er hierher gekommen, und sie gerieten in freudige Bewegung.
»Weißt du, daß er mich angesehen hat?«
»Gewiß. Auch mich, er hat den Kopf nach mir gewendet.«
»Der süße Engel!«
Es war nur eine Täuschung. Aber dieses kleine, stumme, weiche Geschöpf sagte ihnen so viel, was niemand außer ihnen gehört hätte! Sie sahen sich in ihm in eins verschmolzen, sie entdeckten in ihm außerordentliche Ähnlichkeiten, welche sie veranlaßten, stunden, tagelang die Frage zu erörtern, wem von ihnen er mehr ähnlich sehe. Jeder bestand übrigens eigensinnig darauf, daß er das Ebenbild des andern sei.
Natürlich stieß Monsieur Gervais, sobald er die Augen aufgeschlagen hatte, durchdringende Schreie aus. Aber Marianne war unerbittlich: zuerst das Bad, dann das Trinken. Zoe brachte einen Kübel warmes Wasser herauf und bereitete dann das Bad am Fenster in der Sonne. Mathieu tat es wirklich nicht anders, er badete das Kind, wusch es drei Minuten lang mit Hilfe eines feinen Schwammes, während Marianne von ihrem Bette aus die Operation leitete, indem sie über die ängstliche Sorgfalt lachte, mit der er den kleinen Körper handhabte, als ob es der eines neugeborenen, zarten, geheiligten Gottes wäre, den er mit seinen plumpen Männerfingern zu zerbrechen fürchtete. Im übrigen waren beide entzückt von der liebenswürdigen Szene. Wie reizend war er mit seiner rosigen Haut in dem in der Sonne funkelnden Wasser! Und wie brav war er auch, denn wunderbarerweise schwieg er augenblicklich und bekundete ein drolliges Wohlbehagen, sobald er die Berührung hes warmen Wassers fühlte. Nie hatten Vater oder Mutter einen solchen Schatz gehabt!
»Nun,« sagte Mathieu, nachdem er ihn unter Mithilfe Zoes mit seinem Linnen abgetrocknet hatte, »wird Monsieur Gervais gewogen.«
Dies war stets eine sehr komplizierte Operation, welche durch die tiefe Abneigung erschwert wurde, die das Kind gegen sie an den Tag legte. Er sträubte sich, er zappelte auf der Platte, so daß es unmöglich wurde, das Gewicht genau genug aufzunehmen, um die nur wenige Gramm betragenden Unterschiede von einer Woche zur andern festzustellen. Der Vater verlor gewöhnlich die Geduld. Die Mutter mußte sich der Sache annehmen.
»Stelle die Wage einmal hierher auf das Tischchen neben mein Bett und gib ihn mir samt dem Handtuch. Wir werden das Gewicht des Handtuches dann in Abzug bringen.«
Aber in diesem Augenblicke erfolgte, wie jeden Morgen, ein lärmender Einfall. Die vier Kinder, die nunmehr anfingen, sich allein anzukleiden, wobei die größeren den kleineren Beistand leisteten und wobei allerdings auch Zoe mithalf, stürmten wie losgelassene Füllen herein. Sie sprangen Papa an den Hals, warfen sich über Mamas Bett, um »Guten Morgen« zu sagen, und standen dann erstaunt vor der Wage, auf welcher der kleine Bruder lag.
»Ja, warum wird er denn schon wieder gewogen?« fragte Ambroise, der jüngere Knabe.
Die beiden älteren, die Zwillinge Blaise und Denis, antworteten gleichzeitig:
»Du hast doch gehört, daß es geschieht, um sich zu überzeugen, ob Mama nicht betrogen worden ist, ob sie volles Gewicht bekommen hat, wie sie ihn auf dem Markte gekauft hat.«
Rose, die noch immer nicht sicher auf ihren Beinen war, kletterte am Bett entlang und klammerte sich an die Wage, indem sie mit ihrem scharfen Stimmchen rief:
»Sehen will! Sehen will!«
Beinahe hätte sie alles herabgeworfen. Man mußte alle unverweilt vor die Tür setzen, denn nun streckten alle vier die Hände aus und wollten mithalten und mithelfen. »Kinder,« sagte der Vater, »tut mir den Gefallen und geht augenblicklich hinunter. Nehmt eure Hüte und spielt unter den Fenstern, damit wir euch hören.«
Endlich gelang es Marianne, eine genaue Wägung zu erzielen, trotz der Schreie und des Strampelns Gervais’. Und welche Freude, er hatte um sieben Gramm zugenommen! Nachdem er in der ersten Woche abgenommen hatte, wie alle Neugeborenen, war er bis jetzt fast stationär geblieben. Nun fing er also zu wachsen, größer zu werden an! Sie sahen ihn schon gehen, schön und stark geworden. Im Bette aufgerichtet, wickelte ihn die Mutter nun mit erfahrenen Händen
Weitere Kostenlose Bücher