Fruehlingsherzen
Bruce hatte sie kaum jemals wirklich bemerkt. Dennoch war sie sicher gewesen, dass er noch Notiz von ihr nehmen würde, wenn sie etwas älter war. Würde sie keine Zahnspange mehr und einen BH mit Körbchengröße C tragen, dann würde ihm schon bewusst werden, dass er sie liebte. Aber als sie dann älter geworden war, hatte Bruce Rockingham verlassen, um bei den Nevada Snake Eyes zu spielen. Sie hatte versucht, ihn zu vergessen, was ihr die meiste Zeit über auch gelungen war, weil sie sich darauf konzentriert hatte, für Harvard ein Stipendium zu ergattern. Sie hatte sogar im Sommer im „Monroe’s“ gearbeitet, ohne viel an ihn zu denken.
Bis Leah Monroe gestorben und Bruce nach Hause gekommen war. Da hatte er Trost und Liebe gebraucht. Über die Nacht, in der sie ihre Unschuld verlor, hatte sie keine Zeile in ihr Tagebuch geschrieben. Sie hatte gewusst, dass sie sich auch so immer ganz genau an jede Einzelheit erinnern würde. Als sie jedoch erkannte, dass sie nie wieder vom ihm hören würde, hatte sie wieder angefangen, Tagebuch zu führen.
Bruce ist jetzt seit neun Tagen fort. Wie eine Verrückte nehme ich ständig den Hörer ab, um zu überprüfen, ob das Telefon funktioniert. Ich checke stündlich den Anrufbeantworter und renne, in der Hoffnung, dass eine Karte oder ein Brief von ihm gekommen ist, zum Briefkasten. Alles vergebens.
Durch die Spielberichte in der Zeitung erfahre ich etwas von ihm. Gestern Abend hat er mit seiner Mannschaft verloren. Denkt er an mich, wenn er zurück ins Hotel geht? Oder hat er in jeder Stadt, in der er gerade ist, ein Mädchen, das auf ihn wartet? Warum ruft er mich denn nicht an? Er war doch so süß, liebevoll und zärtlich. Hat er mir nur etwas vorgemacht?
Es gab danach noch einen Eintrag, aber Kendra klappte das Tagebuch zu und warf es ernüchtert auf den Tisch. Ihre Erinnerungen aufzufrischen hatte geklappt. Sie hatte Bruce nie mehr bedeutet als Annie Keppler oder ein anderes Mädchen in seiner Vergangenheit. Aber da sich Bruce’ und ihre Wege wieder gekreuzt hatten und heute Abend keine andere Frau für ihn verfügbar war, hatte er eben die Gelegenheit beim Schopfe gepackt. Es war ein bedeutungsloser Kuss im Dunkeln gewesen – mehr nicht.
Er hatte keine Ahnung, dass diese eine leidenschaftliche Nacht ihr ganzes Leben zerstört hatte. Jack hatte Bruce nie erzählt, dass seine Schwester schwanger geworden war und Harvard verlassen musste. Ihr Bruder hatte ihr wie auch ihre Eltern zwar zur Seite gestanden, aber ihrer Familie war es peinlich gewesen, dass sie so dumm gewesen war. Und wer der Vater des Kindes war, hatte Kendra nie jemandem erzählt. Nicht einmal Seamus, der sie deshalb nie verurteilt hatte. Er hatte ihr einfach einen Job gegeben, als sie einen brauchte.
Sie wurde in die Realität zurückgeholt, als es sachte an der Tür klopfte. „Kendra? Bist du noch auf?“
Oh nein, Bruce, dachte sie und stopfte das Heft schnell in ihre Tasche, die neben ihr lag. „Was gibt es?“ Sie ging zur Tür.
„Ich wollte dir nur deine Schlüssel zurückgeben“, rief er.
Langsam öffnete sie die Tür einen Spaltbreit und hielt ihm die geöffnete Hand hin.
Er nahm ihre Hand und küsste sanft deren Innenfläche. Ihre Knie wurden weich. „Wir haben heute Abend über tausend Dollar eingenommen“, flüsterte er.
Kendra zog ihre Hand zurück und machte die Tür etwas weiter auf. „Sieh zu, dass du aus der Stadt kommst!“
Bruce lächelte im Mondlicht und hielt ihren Schlüsselbund hoch. „Das habe ich schon hinter mir. Und jetzt bin ich zurück.“ Er kam näher zur Tür und sagte leise: „Kann ich hereinkommen und dir erzählen, wie großartig der heutige Abend war?“
Sie schnappte sich ihre Schlüssel. „Nein. Leg die Schlüssel in Zukunft einfach nur auf Dianas Küchentisch. Am Abend werden sie dann für dich auf meinem Schreibtisch liegen.“ Siebrachte all ihre Willenskraft auf, um ihm dann die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Das war etwas, was sie bereits vor langer Zeit hätte tun sollen.
Bruce stand vor dem Drahtzaun, der das Baseballspielfeld begrenzte, und atmete tief ein, weil die Luft von seinem Lieblingsduft nach Erde und frisch gemähtem Rasen erfüllt war. Er hatte noch eine gute Stunde Zeit, bevor er zu seinem zweiten Abend in der Bar antreten musste. Den ganzen Tag über hatte er dem Drang widerstanden, im „Monroe’s“ aufzutauchen, um Kendra zu fragen, was sie wirklich über seinen Erfolg am vergangenen Abend dachte. Seinem anderen
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