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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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Und dieses Lebendige, dieses Positive wird die Gegenwart und die Zukunft sein, wird unser Leben sein und das Leben deines ungeborenen Kindes, wird die Luft sein, die durch unseren Körper strömt und die Erde, die wir durch unsere Finger rieseln lassen, es wird die Freiheit sein und unsere erhobenen Köpfe.«
    Peter nickte. Er spürte die Kraft und die väterliche Liebe in den Augen des Mannes, der ihn ansah.
    »Bald wird die Zeit kommen«, fuhr Lois fort, »da wird mein Nachbar im Dorf, da wird Gerhard einen Maibaum setzen. Und auf diesem Maibaum wird eine Fahne wehen, die nicht die nationalsozialistische ist. Das wird das Zeichen sein, dass wir zurückkehren können ins Dorf. Wenn es so weit ist, müssen wir reif sein und unsere Herzen vorbereitet haben. Wir werden zurückkehren in den Ort, aus dem die Unsrigen gewaltsam geholt wurden. In den Ort, in dem unsere Hütten verbrannt wurden. Dennoch werden wir zurückkehren. Wir müssen mit den Menschen dort leben können. Denn es brächte nichts, woanders hinzugehen: Die Menschen sind überall gleich und wenn du nicht mit ihnen leben kannst, sterben nicht sie, sondern stirbst du; du, an deinem eigenen Kummer. Wir werden also zurückkehren. Und wir werden es stolz tun, weise und ruhig.«
    Weil Lois sah und spürte, dass Peter einverstanden war und eins mit seinen Worten, fuhr er fort: »Du wirst es tun, wie ich es getan habe, Peter. Du wirst aus dem Innersten deiner Seele schöpfen. Sie wird dir den richtigen Rat geben und dich in die Zukunft führen anstatt in die Vergangenheit. Ins Leben anstatt in den Tod.«
     
    »Du bist sehr weise«, sagte Peter nach einer Weile.
    »Ach wo«, antwortete Lois, und zum ersten Mal seit sie sich hier im Wald niedergelassen hatten, war ihm fröhlich zumute. »Nein, Peter, überlege dir doch nur, wie klein der Mensch ist und wie kurz der Weg, der ihn zu dem führt, was er im Leben vollbringt. Wie weise kann er werden in dieser kurzen Zeit, die nicht mehr ist als nichts.«
    »Und du bist doch weise«, sagte Peter.
    Lois lachte und schlug Peter väterlich auf die Schulter.
     
    Als es zu dämmern begann und die Strahlen der tief stehenden Sonne den Waldboden nicht mehr berührten, hatte sich bei Lois und Peter noch immer kein Jagdglück eingestellt. Nicht einmal ein Eichkätzchen lief über einen der unzähligen Äste, die sie im Blickfeld hatten. Dennoch kehrten die beiden zufrieden Richtung Restlinggrube zurück. Denn sie führten etwas mit sich, das wertvoller war als jedes Wild und jedes Gefieder. An diesem Tag hatten sie im Wald ihre gemeinsame Hoffnung gefunden.
     
    Nur wenige Kilometer entfernt, in Amaliendorf, waren indes russische Soldaten einmarschiert. Sie hatten sich kaum so richtig im Ort niedergelassen, da stand ein dickbäuchiger, etwas pausbäckiger Bauer mit schelmischem Gesicht in seinem knielangen, blauen Arbeitsmantel vor dem russischen Kommandanten, salutierte etwas tollpatschig, aber keineswegs respektlos und sagte in knappem, bemüht militärischem Ton: »Bitte um Erlaubnis, einen Maibaum mit sowjetischer und österreichischer Fahne aufstellen zu dürfen.«
     
    * * *
     
    Nach der Befreiung Österreichs durch die Alliierten im Frühjahr 1945 wurde das Waldviertel von sowjetischen Truppen besetzt. Im Heft »Ortsgeschichte von Amaliendorf« heißt es dazu kurz und bündig: »1945, nach dem Ende der Hitlerherrschaft, wurde Bürgermeister A. abgesetzt. … Die Russen zogen plündernd durch den Ort.«*
    Am 3. Mai 1945 befreiten amerikanische Truppen das Lager Reichenau bei Innsbruck.
     
    * * *
     
    Ein Vogel kann noch so hoch fliegen, mein kleiner, schlauer Fuchs. Am Ende muss er doch auf die Erde zurückkommen. So ist es mit allem auf dieser Welt, das wussten schon unsere Urahnen. Das Tausendjährige Reich jedenfalls krachte nach ein paar Jahren tobsüchtigen Vollrausches mit solch einem Getöse zu Boden, dass es die ganze Welt erschütterte. Nicht aber unseren Nachbarn Gerhard. Obwohl er ein erdverbundener Bauer war, lebte er in dem Wissen der Fahrenden, dass wir alle nur zu Gast sind auf dieser Welt und dementsprechend respektvoll mit der Natur, also auch miteinander, umzugehen haben. Als er während der Nazizeit gedrängt wurde, der NSDAP beizutreten, sagte er nur: »Wieso? Davon werden meine Erdäpfel auch nicht größer!«
    Zu Ende des Krieges war es dann Gerhard, der für den wahrscheinlich einzigen Maibaum weit und breit sorgte. An dessen Spitze befestigte er gemeinsam mit dem Militärkommandanten der Roten

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