Fuck
Vater zu begreifen. Ich streichelte über ihren fragilen Kopf, fühlte ihr feines Haar und war mächtig froh über meine ehemalige Feigheit. Ohne sie gäbe es Sophie nicht.
„Simon.“
Die Stimme ging mir durch und durch. Mein Herz setzte aus, meine Knie wurden weich.
Für fast zwei Stunden hatte ich den gestrigen Abend verdrängt, nachdem ich die halbe Nacht wach gelegen hatte. Den ganzen Vormittag hatte ich Furchen in den Wohnzimmerfußboden gelaufen, krampfhaft überlegt, ob ich Leo anrufen sollte. Ich hatte überlegt, ihm von Sophie und Katja zu erzählen und ihn mit uns in den Zoo einzuladen. Allerdings hatte ich mich dagegen entschieden. Das wäre alles zu schnell gegangen. Ein Schritt nach dem anderen. Bevor ich ihn mit meiner Familie zusammenbrachte, wollte ich ihn selbst besser kennenlernen.
Und nun stand er hier, neben mir, lächelte mich an und ich konnte feststellen, dass auch er kein Auge zugetan hatte. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder ärgern sollte. Ich war wahnsinnig glücklich ihn zu sehen, und wollte ihn am liebsten umarmen, küssen, ihn mit nach Hause nehmen und … Andererseits hatte er gewusst, dass ich etwas vorhatte, und ich hatte wohl deutlich gemacht, dass er dabei nicht erwünscht war.
Er trieb mich in die Enge und ich hatte mir geschworen, so etwas nie wieder zuzulassen, auch, ja, auch wenn dabei ein Engel wie Sophie entstanden war.
Leo blickte auf den Rucksack, die Digitalkamera, Sophie, meinen gehetzten Gesichtsausdruck und meine angespannte Verteidigungshaltung.
„Deine Tochter?“, fragte er, und das klang fast erfreut. Ich nickte stumm und blickte ernst. Ich wollte ihm nicht
sagen
müssen, dass er abhauen soll, hoffte, er würde es von selber begreifen. Sophie hatte den Mann mit den komischen Locken, der mit Papa sprach, nun auch entdeckt und beäugte ihn reserviert. Leo ging in die Hocke, bis er auf gleicher Höhe mit ihr war, lächelte sie an und stellte sich mit einem kleinen Zaubertrick vor.
Das war irgendwie – süß und ich merkte, wie der Groll von mir wich. Leo fasste erstaunlich gut auf, dass ich ein Kind hatte und Sophie dachte wohl, ein Zauberer konnte unmöglich ein schlechter Mensch sein.
„Wie heißt sie denn?“, fragte er mich von unten herauf.
„Sophie!“, rief Sophie, „Und ich bin vier Jahre alt!“
Leo kicherte und Sophies Finger schnellte vor und bohrte in einer seiner Grübchen.
„Sophie!“, mahnte ich.
„Papa, der Mann hat Löcher in der Wange!“, verteidigte sie ihre impulsive Handlung. Leo nahm die Haut über seinen Grübchen, zog und zerrte daran, schnitt Grimassen und brachte Sophie zum Lachen. Je mehr sie lachte, umso mehr lachte auch er und je mehr die beiden lachten, umso mehr ließ auch ich mich anstecken.
Schließlich erhob sich Leo, bis ich wieder zu ihm aufblicken musste und seine Gesichtshaut war etwas rosa verfärbt, was ihm hinreißend stand. Sein Blick tanzte über mein Gesicht und machte mir, wie immer, die Knie ganz weich. Mein Atem ging schneller, ich betrachtete seine dunklen Wimpern, seine vollen Lippen, neigte mich langsam nach vorn – ihm entgegen.
„Ah, da seid ihr ja!“ ertönte Katjas Stimme. Ich erschrak fürchterlich, zuckte zurück und meine Ohren brannten wie Feuer. Das war eine idiotische Reaktion. Katja wusste, dass ich schwul war und ich hatte auch angedeutet, dass es da vielleicht jemandem gab. Mittlerweile war ihr das egal, im Gegenteil, sie war neugierig geworden, vor allem weil sie mitbekommen hatte, dass ich schon länger allein war.
Leo taumelte, ebenfalls überrascht und versuchte, die Frau einzuordnen, die mir sofort die Kamera und den Rucksack abnahm.
„Das ist, ähm, Leo“, stellte ich ihn vor, während sie konzentriert im Rucksack zu wühlen begann. Sie blickte kurz auf, schob ihre Sonnenbrille hoch, mit der sie in dem verdunkelten Raum wohl kaum was erkennen konnte, und streckte Leo stramm und hektisch, wie es ihre Art war, die Hand entgegen.
„Ich bin Katja, Simons Frau!“, erklärte sie rasch, drückte fest und kalt seine Hand und begann, Stoffwindeln und Saftflaschen aus dem Rucksack zu reißen und mir gegen die Brust zu drücken.
Wie in Trance nahm ich die Dinge entgegen. Ich hatte gesehen, wie Leo gezuckt hatte, als sie sich als meine Frau vorstellte. Die rosige Farbe war aus dem Gesicht verschwunden und mit einem Blick zwischen Entsetzen und Enttäuschung wankte er rückwärts, drehte sich um und stürzte aus dem Raum.
Ich wollte hinterher, konnte aber nicht. Sophie
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