Führe mich nicht in Versuchung
Jillians schwarzes Haar, das zwischen dem Flechtwerk hindurchschimmerte. Mit langsamen Schritten näherte er sich ihr. Ein Schmerz breitete sich in seiner Kehle aus, und seine Brust drohte zu zerspringen.
Sie saß auf einem Stuhl, der mit einem Kissen gepolstert war, hatte die Beine untergeschlagen und blickte mit gebeugtem Kopf auf ein offenes Buch in ihrem Schoss herab. Ihr feines Gesicht machte einen angespannten Eindruck, während sie still dasaß und auf das Buch starrte, ohne die Seiten umzudrehen. Allein ihr Kleid wirkte fröhlich und lebendig mit seinen winzigen, roten, gestickten Rosen und der bordeauxroten Schärpe, die sich in der leichten Brise bewegte.
Er atmete tief durch und fragte sich, wonach sie heute wohl duften mochte.
Unwillkürlich griff er nach dem Zahn in seiner Tasche, zog ihn hervor und umschloss ihn fest mit seiner Hand, als sei er der mächtigste Talisman. Er kam sich ein wenig albern vor, aber er brachte es nicht fertig, diesen kleinen Teil von ihr loszulassen, der ihm vor so vielen Jahren zum ersten Mal das Gefühl von Wärme vermittelt hatte.
Er schritt auf sie zu, ohne sich die Mühe zu machen, seine schweren Fußtritte zu dämpfen.
Sie blickte nicht auf, als sein Schatten über sie fiel, sondern schob lediglich eine Locke hinter ihr Ohr zurück. »Es geht mir gut, Damien«, sagte sie geistesabwesend, während der Wind die Seiten ihres Buches zum Flattern brachte, und ihr das Haar aus dem Gesicht zurückblies, so dass er die tiefen Schatten unter ihren Augen erblickte und ihre Haut, die blass, beinahe schon durchscheinend war.
»Du siehst müde aus, Pandora«, sagte er leise.
Sie hielt den Atem an und blickte zu ihm auf, ohne sich weiter zu rühren. »Du bist gekommen, um mich zu holen«, sagte sie mit tonloser Stimme.
»Ja«, stieß er rauh hervor, verzweifelt bemüht, seine Gefühle zu kontrollieren, die der bloße Klang ihrer Stimme in ihm auslösten. Schnell fügte er das erste hinzu, was ihm in den Sinn kam: »Ich dachte, du würdest vielleicht gerne einen Mittagsschlaf im weißen Salon in Bass - in unserem Heim halten.«
Mit zitternden Händen legte sie ihr Buch zur Seite. Ach bin bereit«, flüsterte sie kaum hörbar.
Hinter seinen Augen verspürte er plötzlich einen stehenden, schmerzhaften Druck, der angesichts ihrer leisen Erklärung zu zerbersten schien. Ich liebe dich. Die Worte saßen auf seiner Zungenspitze, aber er brachte es nicht fertig, sie auszusprechen. Sein Mund begann, sich zu bewegen und er hatte das Gefühl, als bemühe er sich, zum ersten Mal einen Satz in einer fremden Sprache zu sprechen. Ein Satz, dessen Bedeutung sich kaum in bloßen Worten ausdrücken ließ. Ein Satz, den er bisher noch nie ausgesprochen hatte. Der ihn zerstören würde, bekäme er ihn wieder ins Gesicht geschleudert.
»Geh weg von ihr!« Damien eilte auf die Laube zu. Die Absätze seiner Stiefel schlugen laut auf das Holz der Stufen. Bevor Max etwas entgegnen konnte, hatte Damien auch schon ausgeholt und ihm seine Faust in den Bauch geschlagen.
Max stolperte nach diesem unerwarteten Schlag, der ihm auf schmerzhafte Weise den Atem nahm, aber er schaffte es, seine Balance wiederzuerlangen, und blieb breitbeinig stehen, die Hände zu Fäusten geballt. Er rührte sich jedoch nicht, als Damien seinen nächsten Treffer landete.
»Verdammt, Max ... kämpfe«, brüllte Damien wütend.
»Nein«, erwiderte Max und starrte Jillian an - nur sie - und weigerte sich, dem Schmerz nachzugeben und sich vorzubeugen. Er biss die Zähne zusammen.
Jillian starrte zurück, die Augen vor Schreck weit aufgerissen, eine Hand vor den Mund.
Sein Kopf wurde durch einen weiteren Schlag zurückgestoßen, und Blut tropfte an einem Auge herab.
»Du kannst also doch bluten«, sagte Damien keuchend. »Dann hast du dich ja noch nicht vollkommen in Stein verwandelt.« Er holte erneut mit der Faust aus und traf Max am Kinn.
»Hör auf, Damien!« schrie Jillian, sprang von ihrem Stuhl in die Höhe und ging auf ihren Bruder los.
Dieser schüttelte sie ab, und sie stolperte gegen den Stuhl zurück. Bevor Max reagieren konnte, hatte sie ihr Buch gepackt und ließ es auf Damiens Kopf hinabsausen.
Damien drehte sich mit einem erstaunten Ausdruck auf dem Gesicht zu ihr um und schüttelte den Kopf, als ob er sich bemühe, ihn klarzubekommen.
Max war außerstande mehr zu tun, als auf der Stelle stehenzubleiben, sie benommen anzusehen und darauf zu warten, dass sich der Nebel vor seinen Augen lichten und die Wut
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