Fuehrungs-Spiel
intensive Teamsitzungen, harte Athletikeinheiten, die genau jetzt im Winter angesagt waren, um eine echte Chance bei der WM 2006 zu haben. Es war mir wichtig, den Spielern und den Trainern, die in ihren Heimatorten mit ihnen arbeiteten, die internationalen Anforderungen genau darzustellen und sie als Team voll für unser Ziel zu gewinnen.
Ich hatte ein großes Poster mit der jubelnden, siegreichen Europameistermannschaft der Spanier von vor einigen Wochen in Leipzig anfertigen lassen. Über dem Poster stand: »Wer soll jubeln am 17. September 2006?« Dieser Tag wäre der Tag des Endspiels bei der WM 2006 in Mönchengladbach. Das Poster hing jetzt plötzlich zum ersten Meeting unübersehbar im Besprechungsraum, und ich merkte, wie es meine Spieler anrührte und herausforderte. Es ging ein heftiger Ruck durch das ganze Team!
Wer soll jubeln am 17. September 200 6 ?
Dieter Reinhardt
Dieses Poster bekam auch jeder Spieler mit nach Hause. Ich wollte sie mit h ilfe dieses provozierenden Symbols, mit h ilfe der Gefühle, die sich daraus entwickeln sollten, animieren, die Mannschaft und den Erfolg bei der kommenden WM in Deutschland im Kopf und im Herzen zu tragen – trotz des harten Trainings und der Extraschichten, die ich ihnen auch zwischen unseren Lehrgängen abverlangte.
Gefühle fördern mit Gefühl
Eine Weltmeisterschaft im eigenen Land gibt es meist nur einmal im Leben eines Sportlers. Im Vorfeld eines solchen Ereignisses die Gefühle der Spieler zu mobilisieren, dürfte folglich kein Hexenwerk sein. Sollte nicht allein die Vorstellung, mit dabei zu sein, geschweige denn die Aussicht, dort als umjubelter Sieger vom Platz zu gehen, jedem Akteur eine kaum noch zu steigernde emotionale Schubkraft verleihen?
So einfach ist es jedoch nicht. Auch mein »Wer soll jubeln?«- Poster allein hätte niemals ausgereicht, um meine Mannschaft ein D reiviertel j ahr vor dem Ereignis entscheidend zu emotionalisieren und damit ihre Leistungsgrenze ein ganzes und – wie ich ernsthaft glaube – entscheidendes Stück zu verschieben.
Der Vorgang der Emotionalisierung ist in aller Regel nicht das Ergebnis spontaner, intuitiver Maßnahmen. Es bedarf, wie bei allen Führungsmethoden, eines Konzeptes, einer Struktur, vor allem bedarf es eines besonders hohen Maßes an Aufmerksamkeit – für sich selbst und für andere. Emotionalisierung braucht großes Vertrauen und Zutrauen innerhalb der Gruppe sowie zwischen der Gruppe und der Führungsperson.
Emotionale Führung braucht Kontinuität, Berechenbarkeit, damit auch überraschende Gefühlsausbrüche die Grundstabilität nicht gefährden können. Wer emotional führen will, muss Emotionen führen, sie lenken – seine eigenen und die der Menschen in seiner Umgebung. Erst dann wird er mit seinen eigenen Gefühlen die Gefühle anderer mobilisieren können.
Wie viele andere beschriebene Führungsformen ist auch das Emotionalisieren ein Prozess, der sowohl die Gruppe als auch jedes einzelne Mitglied betrifft. Die individuelle Ansprache ist dabei genauso wichtig wie der Appell an das komplette Team. In beiden Fällen spielen Bilder, im realen wie im übertragenen Sinne, eine wichtige Rolle. Das Poster der jubelnden Spanier, ein großes Foto vom WM-Pokal, eine Abbildung des Stadionrohbaus – mit solchen Motiven habe ich gemeinsam mit dem Mannschaftspsychologen Hans-Dieter Hermann von Zeit zu Zeit die Mannschaft, insgesamt in einem Zeitraum von fast zwei Jahren, auf das große Ereignis WM 2006 eingestimmt. Solche Bilder wirken unmittelbar, setzen sich in den Köpfen fest und lassen Raum für eigene F antasien und Projektionen.
Oft hat Emotionalisierung, wie im richtigen Leben, auch im Sport oder Beruf mit Erinnerungen an gemeinsame – positive wie negative – Erlebnisse zu tun. Besonders in Kabinenansprachen oder in den letzten Sitzungen unmittelbar vor den Spielen habe ich oft versucht, gemeinsame Erfahrungen wieder in Erinnerung zu rufen, große Gefühlsmomente, die wir gemeinsam erlebt hatten. Ich will dies an einigen Beispielen verdeutlichen.
Es war das zweite Spiel bei der WM in Kuala Lumpur im Februar 2002 gegen Spanien. Wir hatten das erste Spiel gegen Argentinien gewonnen, verloren aber das zweite Spiel gegen Spanien nach schwacher Leistung und standen plötzlich mit dem Rücken zur Wand. Bevor wir uns zur eigentlichen Videoanalyse des verlorenen Spiels zusammenfanden, bat ich das ganze Team in mein Hotelzimmer. Dort war es eng, heiß und stickig, viele Spieler saßen auf
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