Fuehrungs-Spiel
dem Boden. Ich ließ ihnen keine Zeit, es sich gemütlich zu machen: »Kein Spieler hat das umgesetzt, was wir uns vorgenommen hatten und was unsere Stärken sind, wir waren schwach, lahmarschig, eben voll an unseren Möglichkeiten vorbei. Wir werden so gar nichts, keinen Blumentopf gewinnen«, begann ich meine Rede. Und mein ganzer Körper redete mit. Die Arme wirbelten durch die Luft, die Augen fixierten die Spieler einzeln, meine Faust trommelte immer wieder auf den vor mir stehenden Schreibtisch. »Wir haben hier aber ganz andere Ziele, ich weiß, dass jeder, du, du, du und du, dass alle ganz anders spielen können. Wir benötigen eine ganz andere, absolute Hin gabe für unser großes Ziel, wir wollen am nächsten Sonntag vom König den Pott bekommen, nur wir, wir haben jetzt keinen Schuss mehr frei, wir sind jetzt noch klarer auf den Pott fixiert, das ist unser Ziel! Wir gehen mit dem Pott auf die Ehrenrunde, nur wir. Wir werden uns den Pott von niemandem nehmen lassen, von niemandem!! Wir holen uns das Ding am Sonntag beim König ab.« Der Pott. Der König. Es waren nicht zuletzt diese Begriffe, welche die Emotionen weckten: Jeder konnte sich die Bilder »malen«. Jeder wusste, was gemeint war. Jetzt konnte die Analyse des Spiels beginnen. Die Spieler wussten (wieder), worum es ging. Den Pott haben wir uns übrigens dann abgeholt – beim König.
Ein anderer klassischer Moment für das Emotionalisieren ist die Halbzeitpause, besonders das Ende der Pause. Lagen wir bei der Halbzeit zurück, erinnerte ich die Jungs an Spiele, die wir gemeinsam gedreht hatten, an das Glücksgefühl nach dem Siegtor damals, an unsere jubelnden Fans, an die Tabelle oben auf der Anzeigentafel. Oder ich rief den Spielern in Erinnerung, wie »geil« es doch gewesen war, mit diesem Sieg und mit großem Selbstbewusstsein in ihre Heimatvereine zurückzukehren. Ich beschrieb die Situationen, so konkret es eben ging, um Bilder, Bilder und nochmals Bilder entstehen zu lassen, aus denen dann Gefühle wachsen sollten.
Bei diesen »Ansprachen« war meine Wortwahl nicht unbedingt druckreif, es kam auch vor, dass ich vor Wut und Enttäuschung Gegenstände durch die Kabine warf. Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass ich in solchen Momenten meine eigenen Gefühle immer komplett unter Kontrolle gehabt hätte. Es kam vor, dass als Aufschreckmanöver zur Pause nach einer schlechten, verpennten Hälfte ein Spieler die große Spielfeldtafel vor die Füße geknallt bekam, dass meine Kappe oder Kunststoff-Trinkflasche durch die Kabine flog. In Peshawar in Pakistan habe ich einmal aus Wut über unzureichende Leistungen einen Stuhl zusammengetreten. Einen Benimmkurs hätte ich damals nicht bestanden, aber ich hatte die Spieler auf die Besonderheit der Situation fokussiert und sie für eine andere, bessere zweite Halbzeit emotionalisiert. Diese Maßnahmen waren aber absolut die Ausnahme, meistens war der Hauptteil einer Halbzeitansprache von taktischen Aufgaben für die zweite Spielhälfte bestimmt. Doch meine Gefühle, das haben mir die Spieler später häufig bestätigt, waren authentisch und unmittelbar. Sie wirkten daher vielleicht gelegentlich etwas extrem, aber sie erreichten die Spieler.
Meine Art der Emotionalisierung war also oft an Rituale geknüpft und lebte doch immer wieder auch vom »Gefühl pur«, jenen Ausbrüchen also, für die ich besonders gefürchtet und dann doch, so hoffe ich, geachtet wurde. Emotionalisierung ist aber auch eine Kunst der leisen Töne. Wie oft habe ich das Selbstvertrauen der Spieler in Einzelgesprächen bestärkt, in denen ich ihnen – ruhig und sachlich – beschrieben habe, worin ihre besonderen Stärken bestehen, wie unersetzlich sie als Persönlichkeit in genau diesem Augenblick für den Erfolg des Teams sind. Auch hier gab es nicht das »Schema F«. Bei manchen Spielern war der Einsatz von Worten nahezu vergeblich in der Stresssituation des Spiels, dafür wirkte eine feste Umarmung, ein durchdringender Blick oder auch nur die Hand auf der Schulter, um sie heißzumachen. Andere wiederum konnten und wollten genau zuhören, sogen meine Metaphern und Bilder geradezu auf.
Es erklärt sich von selbst, dass die Methode der Emotionalisierung nur dann effektiv eingesetzt werden kann, wenn man sie verstetigt. Eine emotionale Ansprache, der Appell an die großen Gefühle, verpufft wirkungslos, wenn sie nur in Zeiten großer Anspannung, vor wichtigen Spielen oder entscheidenden Situationen zur Anwendung kommt. Die
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