Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fuehrungs-Spiel

Fuehrungs-Spiel

Titel: Fuehrungs-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Peters , Hans-Dieter Hermann , Moritz Mueller-Wirth
Vom Netzwerk:
Wirtschaft in Oxford, Madrid und Paris. Er sprach fünf Sprachen fließend. Und obwohl er seine Mitspieler und den ganzen Betreuerstab oft unendlich nervte mit seinen Extrawürsten, war er im Team beliebt. Ich merkte, dass seine Mitspieler sich an ihm rieben, dass seine Energie auf und jenseits des Platzes etwas Unberechenbares hatte, etwas unheimlich Kreatives, Beflügelndes, Stimulierendes. Etwas, was sonst keiner beisteuern konnte. Meine Führungsspieler, allen voran Florian Kunz und Philipp Crone, nahmen sich ihren Kollegen Justus ein ums andere Mal zur Brust, um ihn auf seine offensichtlichen Disziplinlosigkeiten hinzuweisen. Sein Schuldbewusstsein ist legendär. Die Folgenlosigkeit desselben auch.
    Ich hielt an ihm fest, obwohl er selten wichtige Tore geschossen oder entscheidende Vorlagen geliefert hat, wie mir immer wieder vorgehalten wurde. Scharowsk y war ein Künstlertyp, wie man nur wenige in einem Team brauchen kann, aber diese wenigen sollte man tolerieren. Dass für ihn in gewisser Weise Sonderrechte galten, habe ich in Kauf genommen, obwohl genau dies für eine Führungsfigur äußerst kompliziert zu kommunizieren war. Ich stand dazu und habe gegenüber allen Kritikern meine Theorie des Differenzierens verteidigt – bis keiner mehr fragte, aber viele, das weiß ich, hinter meinem Rücken den Kopf schüttelten.
    Es gab in der Mannschaft und unter den Betreuern unterschiedliche Theorien, weshalb ich so unverbrüchlich an Scharowski (der im Übrigen manchmal richtig starke Leistungen auf dem Platz brachte, dann mal wieder nur Mitläufer war) festhielt. Eine lautete: In jedem Jahrgang gibt es ein oder zwei Ausreißer. Da muss man Bernhard einfach lassen, da ist er stur. Genau, würde ich antworten, so ist es: Die, die ihr Ausreißer nennt, machen das Salz in der Suppe aus. Eine andere Theorie lautete: Bernhard hat Justus deshalb so gemocht, weil er in seinem tiefsten Innern sein wollte wie er, aber wusste, dass er das nie schaffen würde. Auch da, würde ich sagen, ist etwas dran. Aber ich will doch entgegenhalten, dass es mir immer nur um das Wohl und den Erfolg der Mannschaft ging, nicht um meine eigene Psyche.
    Übrigens: Seit meinem Abschied als Bundestrainer im Herbst 2006 gab es bis zum Ende des Jahres 2007 etliche Länderspiele und die Europameisterschaft in Manchester. Immer gehörte Justus Scharowsk y zum Kader.
    Individuell statt gleich
    Hockey ist ein Mannschaftssport. Wie in allen Mannschaftssportarten, ja in Teams in allen Bereichen des Lebens besteht zwischen dem Kollektiv und dem Individuum ein Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit. Je stärker die einzelnen Spieler, desto stärker das Team. Doch schon die nächste, vermeintlich genauso zwingende Verbindung zwischen Kollektiv und Individuum ist komplizierter: Die Mannschaft als Ganzes kann sich verbessern, das ist meine feste Überzeugung, aber der entscheidende Fortschritt hängt immer von der Verbesserung der Leistung der einzelnen Teammitglieder ab. So ist das Team, das Kollektiv, gewissermaßen nur ein virtuelles Gebilde. Die Existenz, das Auftreten, die Leistung, der Erfolg dieses Kollektivs sind abhängig von der Entwicklung der Spieler als Individuen. Diese Individuen auszuwählen, zu fördern und zusammenzufügen, wie die Steine eines Mosaiks oder die Töne eines Musikstücks, ist die Aufgabe eines Trainers oder jeder Führungsfigur, die mit einem Team arbeitet.
    In meiner Arbeit als Trainer habe ich auf dieses Verfahren immer enorm viel Zeit, Aufmerksamkeit und Energie verwendet. Auswählen – das bedeutete für mich nie das Zusammenrufen der stärksten Spieler. Auswählen, das bedeutete für mich genaueste Beobachtung und Analyse der Stärken und Schwächen der in f rage kommenden Spieler – im sportlichen, aber auch im charakterlichen Bereich.
    Auswahl bedeutete also nicht Gleichmacherei, nicht gleiches Recht für alle, Auswahl bedeutete: Differenzieren.
    Ich legte für jeden Spieler ein individuelles Profil seiner Anlagen, seiner Qualitäten und auch seiner Defizite an. Diese Profile waren dann die Koordinaten des Gesamtsystems »Mann schaft«.
    Welches aber waren die Kriterien für die Bewertung der einzelnen Spieler? Der Ausgangspunkt meiner Überlegungen in diesem Bereich war immer die Individualität. Bei einem Kader von 25 Spielern hatte ich es mit 25 ganz eigenen Charakteren und Biografien zu tun. Diese Biografien nicht nur zu kennen, sondern die Spieler aus dieser Kenntnis heraus differenziert zu führen, war immer

Weitere Kostenlose Bücher