Fuehrungs-Spiel
natürlich auf die zahlreichen unvorhersehbaren Situationen, die ein Mannschaftssport wie Hockey mit sich bringt, ausgezeichnet vorbereitet – und auf entsprechende Anforderung in Studium oder Beruf ebenso.
Das Ventil öffnet sich also idealerweise in beide Richtungen. Ein doppelter »Selbstbewusstseins-Transfer« in Richtung Sport und vom Sport ins »richtige Leben« ist die Folge. Nach konzentrierten Ausflügen in geistige oder jedenfalls nicht körperliche Betätigungen habe ich die Spieler oft mit freiem Kopf und hoher Motivation bei Lehrgängen oder Länderspielen in Empfang genommen. Folglich habe ich diese »Nebentätigkeiten« der Spieler aktiv gefördert, nicht nur toleriert. Der Aufbau und die Begleitung einer zweiten Identität jenseits des Sports waren also ein strategisch wichtiger Baustein in meiner streng leistungsbezogenen Arbeit. Das Ergebnis gab mir recht: Das Selbstwertgefühl der jungen Persönlichkeiten entwickelte sich über die Grenzen der beiden Identitäten hinweg.
Spätestens jetzt ist es aber Zeit, darauf hinzuweisen, dass diese »duale Laufbahnplanung« für alle Beteiligten eine ungeheure Disziplin, ein penibles Zeitmanagement erfordert und zwischenzeitlich durchaus Entbehrungen mit sich bringt: Wer die zweite Identität eines Sportlers fördert, muss gelegentlich – beispielsweise, wenn Prüfungen im Studium anstehen – auf ihn verzichten.
Zwei Beispiele können verdeutlichen, dass es beim »Begleiten« eben nicht nur, wie im Fall von Jamie Mülders, um sehr persönliche Lebensplanung gehen muss:
Björn Michel, unser Top-Eckenschütze, absolvierte bis zu den Olympischen Spielen 2004 parallel zu seinem Leistungssport sein Medizinstudium. In den heißen Monaten vor der WM 2002 lernte er für das Physikum. Heute ist er schon lange ein angesehener Mediziner. In dieser Zeit der Prüfungsvorbereitung hatte er, geschützt durch mich, eine Sonderrolle im Team. Ich verpflichtete ihn lediglich, an den Trainingseinheiten teilzunehmen, von den wichtigen täglichen Besprechungen und den gemeinsamen Freizeitprogrammen stellte ich ihn frei. Da zog er sich zurück, um zu studieren. Alle wussten das, alle tolerierten das. Ich erkundigte mich immer wieder nach dem Fortgang seines Studiums und dokumentierte damit mein ehrliches Interesse, ihn auf diesem »Doppelweg« zu begleiten. Er war in der Lage, sich auf beiden Feldern intensiv mit den Anforderungen auseinanderzusetzen. Die Erfolge in beiden Bereichen sind der Beleg.
Dann gab es noch Philipp Crone, mit 342 Länderspielen bis heute Rekordnationalspieler. Er besuchte bis 2004 einen Studiengang zum Diplom-Biologen, um sich danach an der renommierten Journalistenschule in München einzuschreiben. Er fehlte bei etlichen Lehrgängen immer wieder einige Tage, so auch Ende 2005 und 2006 vor der Weltmeisterschaft. Ich hatte da als Trainer einige Kompromisse zu machen, weil er mir natürlich auch als Führungsspieler für unser junges Team im Trainingsprozess stark fehlte. Philipp Crone übernahm die große Verantwortung für sich und seine Leistung, die ich ihm übertragen hatte, mit Bravour, trainierte gezielt für sich alleine, bestand außerdem alle Prüfungen an der sehr fordernden Journalistenschule. Auch in seinem Fall interessierte ich mich nicht nur für die Sonderschichten, die er schob, um sich fit zu machen. Vielmehr haben wir oft und intensiv über die Herausforderungen im journalistischen Bereich gesprochen. Philipp gehörte dann zu den großen Leistungsträgern beim Gewinn der Weltmeisterschaft 2006. Heute kann er zwischen Angeboten unterschiedlicher Medien auswählen, um sich seinen Berufswunsch »Journalist« zu erfüllen.
Der naheliegendste und gleichzeitig unsinnigste Einwand gegen das Prinzip der »dualen Laufbahnplanung« ist übrigens der Hinweis auf den Profisport als vermeintliche Vollzeitbeschäftigung. Gewiss, Hockey ist in seiner ganzen Struktur keine Vollerwerbstätigkeit, trotzdem ist der Aufwand für Spieler, die internationalen Maßstäben gerecht werden wollen, äußerst hoch, mit dem von professionellen Athleten durchaus vergleichbar. Sehr viel häufiger als beispielsweise bei den Fußballprofis gibt es an vielen Tagen im Jahr Lehrgänge, Turniere und Länderspiele. Andererseits zeigt mir mein in diesem Punkt doch hinreichender Einblick in den Profifußball, dass die meisten Spieler dort weit entfernt von einem »Full t ime-Job« sind. Wer also als Trainer von Berufssportlern das Prinzip der »dualen Laufbahnplanung«
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