Fuehrungs-Spiel
Erziehung von Kindern. Was man ihnen als Eltern vormacht, wird – im günstigen Fall – übernommen. Viel nachhaltiger jedoch wirken positive eigene Erfahrungen, Erfolgserlebnisse ohne offensichtliche Steuerung und Kontrolle der Eltern. So legte ich wesentliche Teile des so wichtigen Teambuilding-Prozesses in die Hände erfahrener Spieler, wie Florian Kunz, Philipp Crone, Timo Wess oder Björn Emmerling. Sie nahmen diese Herausforderung an, wollten mir beweisen, dass sie in der Lage waren, sich für die nächsten Aufgaben sehr gut vorzubereiten, auch ohne den Trainer ständig im Nacken zu haben. Ich erinnere mich daran, dass die Führungsspieler bei der Champions Trophy 2006 in Madras nach unserem ersten desaströsen Spiel gegen Australien, das wir mit 1 : 4 verloren hatten, eine interne Sitzung ohne Trainer mit dem Team durchgeführt und ihre Mitspieler sehr eindringlich auf den weiteren Weg in Richtung WM 2006 eingeschworen hatten. Ich spürte, dass nach diesen Sitzungen die Motivation und die Leistungsbereitschaft auf besondere Weise gestärkt worden waren. Nie habe ich erfahren, was genau besprochen wurde, trotzdem habe ich den Führungsspielern vertraut. Wenn ich merkte, wie die Mannschaft mein Vertrauen nutzte, sich selbst zu motivieren, empfand ich das als ungeheure Bestätigung meiner Führungsmethode.
Doch so leicht, wie ich das jetzt im Rückblick aufschreibe, war das beileibe nicht immer. Ich gebe zu, dass ich auch hier viel lernen musste, vor allem von meinen Spielern. Hatte ich ihnen einen Trainingsplan für die Zeit zwischen den Lehrgängen mitgegeben, konnte es passieren, dass ich trotzdem noch des Öfteren per SMS nachfragte, ob der Plan erfüllt sei. Nicht wirklich ein Beweis für mein Vertrauen in sie. Gerade Leader wie Kunz oder Emmerling haben mir dann immer mal wieder offen gezeigt, was sie von solchen Kontrollaktionen hielten. Emmerling zum Beispiel hat mich an diesem wunden Punkt erwischt, als er einmal ganz klipp und klar formulierte: »Vertrau mir einfach, wiederhole deine Forderungen zum Trainingsplan nicht immer wieder. Es enttäuscht mich, dass du mir offenbar nicht vertraust, du muss doch wissen, dass du dich voll auf mich verlassen kannst.« Das saß! Ich versuchte mich zu bessern, inwieweit das gelungen ist, müssen letztlich die Spieler beurteilen, doch glaube ich, dass ich immer mehr loslassen und meinen Führungsspielern echtes Vertrauen schenken konnte.
Ein weiterer Lehrmeister in Sachen Vertrauen war Florian Kunz, mein Kapitän über lange Jahre bis zu den Olympischen Spielen von Athen. Kunz war ein Spieler, der auch gerne die fröhlichen Seiten des Lebens genoss und ab und zu, auch während der Lehrgänge, abends noch ein Bier trank, obwohl er wusste, dass ich das eigentlich nicht schätzte. Am folgenden Lehrgangsmorgen eröffnete Kunz das Gespräch immer mit der Bemerkung, dass er und einige andere Spieler leider am Vorabend wieder einen über den Durst trinken gewesen seien. Kunz war einer derjenigen, denen ich – nicht nur – in Sachen Lebenswandel voll vertraute. Jedenfalls dachte ich das. Wenn er dann aber mit einem breiten Grinsen vor mir stand und über die nächtlichen Vergnügungen sprach, merkte ich, wie schwer es mir fiel, nicht doch zu fragen: Stimmt das jetzt, Flo, oder nimmst du mich auf den Arm? Es erforderte von mir enorme Disziplin, aber ich verkniff mir die Frage – und lernte dadurch, was es heißt, wirklich zu vertrauen. Bis heute weiß ich übrigens nicht, ob seine Schilderungen nicht ab und zu doch der Wahrheit entspr o chen haben . Später habe ich ihn mal danach gefragt. Da hat er, mit demselben Grinsen wie an jenen Morgen, mit einer Gegenfrage geantwortet: » Bernhard, habe ich dein Vertrauen missbraucht? « Hatte er nicht. Mehr noch, er hat mich gelehrt, was Vertrauen bedeutet: Nämlich auch zu akzeptieren, dass Dinge anders laufen, als ich sie gerne gehabt hätte – und trotzdem in der Summe zum bestmöglichen Ergebnis führen.
Doch natürlich war es, wie das Beispiel von Jan-Marco Montag zeigt, besonders wirkungsvoll, einzelne Spieler direkt durch die Führungsmethode »Vertrauen« stark zu machen. Gerade vor wichtigen Spielen, während großer Turniere, habe ich den Spielern oft intensiv eingeimpft, wie sehr ich ihnen und ihrer Stärke vertraute. Das sollten meine Jungs ruhig wissen. So habe ich unsere erste wichtige Besprechung unmittelbar vor der WM 2006, am 4. September in Mönchengladbach, mit den Worten eröffnet: »Ich bin mir sehr
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