Fuehrungs-Spiel
waren im vorläufigen Kader für Olympia, sie wechselten sich in der Vorbereitung ab, es kristallisierte sich ganz klar ein Zweikampf um diese Position heraus. Klar war: Ich würde nur einen der beiden mitnehmen. Du kannst, habe ich mir gesagt, zu Olympia nur 16 Spieler nominieren. Du kannst da nicht zwei gebrauchen, die nur auf einer Position einsetzbar sind, zwei Verteidiger mit äußerst durchschnittlichem Angriffsverhalten. Und genau hier erwarb sich Duckwitz leichte Vorteile. Er lernte mehr dazu, entwickelte sich weiter und machte durch viel Spezialtraining, durch viele zusätzliche Schichten ganz gezielt Fortschritte in der Offensive, seiner Schwachstelle. Und wir waren uns sicher, dass bei Mike eben diese Entwicklung nicht mehr kam. Ich schreibe: wir. Weil ich mich natürlich mit meinen Kollegen aus dem Trainerstab abstimmte. Ich schreibe nicht » wir « , weil ich mich bei dieser Entscheidung hinter irgendjemand verstecken kann oder will.
Als sich meine Entscheidung abzeichnete, habe ich mit einigen meiner engen Mitarbeiter gesprochen, alle, fast alle haben mir empfohlen: Nimm Green. Auch in der Mannschaft gab es eine klare Tendenz für den erfahrenen Abwehrspieler. Ich aber hielt mit meinen Zweifeln, ja mit der sich abzeichnenden Möglichkeit, auf Green zu verzichten, nicht hinterm Berg.
Meine Umgebung nahm das zur Kenntnis und versuchte ab einem gewissen Moment nicht mehr, mich umzustimmen. Und auch Green spürte natürlich, dass das kein Selbstläufer war, wieso hätte er sonst von sich aus gesagt: »Bernie, du weißt ja, wenn es darauf ankommt, ist der alte Green da und räumt die Dinger weg.« Ganz ruhig hat er gesprochen und mich angeschaut mit seinem gewinnenden Lächeln. Auch aus seiner Miene sprach zweierlei: Er wusste, es wurde eng, aber er glaubte niemals daran, dass er den Kürzeren ziehen würde.
Dann kam das Turnier in Amsterdam, das letzte Spiel, bevor ich mich festlegen musste. Der Moment der Entscheidung. Es war ein grandioses Endspiel: Deutschland – Holland! Und wir haben gewonnen. Nach dem Spiel standen schon kleine Busse für die Jungs bereit, diejenigen, die nach Hause fliegen mussten wie Green, hatten die Flüge schon eine D reiviertel s tunde nach Spielende. Ich hatte mich für Duckwitz entschieden, konnte Green das aber, in der Hektik nach Spielende, nicht mehr mitteilen. »Ich ruf dich an«, habe ich ihm hinterhergerufen. Er wusste, was ich meinte, aber nicht, wie ich es meinte.
Am nächsten Morgen, ich hatte kaum geschlafen, hatte ich mir dann ein paar Stichworte aufgeschrieben und Atemübungen zur Beruhigung gemacht. Er war sofort am Apparat und er hörte meine Stimme: »Ich habe mich für Duckwitz entschieden und gegen dich. Ich weiß, wie beschissen das für dich ist, aber ich glaube, dass wir mit Eike in der Offensive in Athen besser aufgestellt sind.« Schweigen. Green war kurz sprach-, dann fassungslos: »Ich kann gar nicht glauben, was du mir erzählst. Wir haben doch schon so viele Dinger zusammen geschaukelt. Du weißt, dass du dich total auf mich verlassen kannst, wenn es darauf ankommst, das weißt du doch.« Ich glaube, ich habe ihn einfach reden lassen, an die Wand gedrückt, wie ich mich fühlte. »Ich muss darüber noch mal nachdenken. Wir können heute Nachmittag noch mal telefonieren« – das war Greens letzter Satz in diesem Gespräch. Er fühlte sich immer noch irgendwie als Herr des Verfahrens.
Am Nachmittag klingelte dann tatsächlich das Telefon: »Hier ist Mike.« Noch einmal hat er versucht, mich umzustimmen. Ich versuchte, genauso vergeblich, ihm zu erklären, wie schwer ich es mir gemacht hatte. Dann legte er auf. Und ich ging zum Fahrradfahren.
Wer auswählt, verletzt
Nach 20 Jahren als Hockeytrainer, nach einem Jahr als Sportdirektor und als vierfacher Vater weiß ich: Wer führen will, muss entscheiden können, wer entscheidet, muss verletzen können, jedenfalls, wer sich zwischen Menschen entscheiden muss. Hunderte solcher Entscheidungen musste ich in meiner Trainerlaufbahn fällen, vor jedem Turnier, vor jedem Lehrgang, vor jedem Länderspiel. Die Entscheidung gegen den Spieler Mike Green war menschlich die härteste in meiner Karriere, vom Prinzip her lief sie aber genauso ab wie alle anderen. Entscheidungen dieser Art sind ein spezifischer Bestandteil einer Beziehung zwischen Trainer und Spielern. Entscheidungen müssen vorbereitet werden. Fünf Punkte habe ich dabei immer besonders beachtet:
1 . Klarheit über die Meinungsbildung des
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