Fuehrungs-Spiel
nicht als Schwäche registriert wurde, sondern als eine meiner besonderen Stärken, gehörte zu den wichtigsten Lernprozessen auf dem Weg zu meiner Identität als Trainer.
Wer die Emotionen zu einem zentralen Gegenstand seiner Führungsphilosophie und seiner Traineridentität erhebt, der ist gut beraten, sich besonders mit den buchstäblich naheliegendsten Gefühlen intensiv zu beschäftigen: den eigenen. Das beginnt schon mit der oft nicht leicht zu ertragenden Erkenntnis, dass diese Emotionen situations- oder tagesbeding ten Schwankungen unterliegen. Und es endet mit der Erkennt nis, dass die Launen von Führungspersonen ganz unmittelbar Einfluss nehmen auf das Team – und so letztlich auch auf die Leistung. Wenn es gelingt, diese Emotionen nicht nur so gut es geht zu kontrollieren, sondern sie bei der eigenen Arbeit aktiv zu berücksichtigen, dann ist viel gewonnen. Das krampfhafte Überspielen persönlicher Emotionen hilft dabei gar nichts. (Mögliche Wege, das eigene Gefühlsleben im Gleichgewicht zu halten, beschreibe ich im Abschnitt »Wechselspiel: Zwischen Anspannung und Entspannung«.)
Noch wichtiger als die Kontrolle der Gefühle ist die Erkenntnis, dass bei eigener Übellaunigkeit die Spieler kaum, wie gefordert, im Training leidenschaftlich und eigeninitiativ zu Werke gehen können. Umgekehrt ist ein ausgeglichener, entspannter Trainer ein unmittelbarer Leistungsmotor. Ich brauch te lange, bis ich diese eigentlich leicht verständlichen Zusammenhänge erkennen und vor allem nutzen konnte. Ich wollte unbedingt der Ausgangspunkt für positive Energien sein. Es bedurfte oft einer ungeheuren Anstrengung, aber ich spürte eine unendlich große Befriedigung, wenn es mir gelungen war, den Kreislauf der Emotionen positiv in Gang zu setzen.
Die Lehrgänge mit meinem Team waren, unabhängig von ihrer Dauer, von mir immer bis ins Detail lange vorher durchgeplant (wie ich im zweiten Kapitel im Abschnitt »Planen: Flexibel sein durch Akribie« ausführlich beschreibe). Ich begründete zu Beginn einer jeden solchen intensiven Arbeitsphase meine Ideen und Vorhaben. Auf diese Weise sorgte ich für größtmögliche Transparenz. Doch im Gegensatz zu früher signalisierte ich in späteren Jahren von Anfang an, dass das Programm jederzeit, abhängig von der Entwicklung und der Dynamik in der Gruppe, variiert werden könnte. Niemand konnte allerdings sicher sein, dass ich nicht – trotz aller Widerstände – das Programm gnadenlos durchziehen würde. Jeder konnte hingegen sicher sein, dass dieses »Durchziehen« keine prinzipielle Angelegenheit war, sondern Ergebnis einer ehrlichen, intensiven Auseinandersetzung und Beratung mit allen Beteiligten.
Wenn ich nun – zusammenfassend – versuchen soll, die Schlüsselbegriffe meiner Traineridentität zu benennen, so fallen mir die Begriffe »Konsequenz« und »Fürsorge« ein. Diese Begriffe stehen für die beiden Seelen in meiner Brust. Ich war, auf der einen Seite, ein bedingungsloser Leistungsfetischist, hart gegen die Spieler, aber auch gegen mich. Ich plante sehr penibel und merkte, wie frustriert ich manchmal war, wenn meine Planungen nicht eingehalten wurden oder werden konnten. In dieser Hinsicht habe ich gelegentlich auch die Grenzen nicht nur des guten Benehmens, sondern auch der menschlichen Achtung überschritten. Oft tat es mir danach sehr leid, und ich habe mich sofort entschuldigt. Ich konnte aber auch in aller Ruhe knallhart sein, ganz kühl, wenn ich davon überzeugt war, dass bestimmte Maßnahmen nötig seien, um kurzfristig Verbesserungen bei einzelnen Spielern zu erzielen. Ich habe mit dieser eigentlich unpädagogischen Methode gelegentlich auch erfahrene Führungsspieler, die aus meiner Sicht nicht an ihre Grenze gegangen waren, nicht alles für die Mannschaft gegeben hatten, angestachelt – und oft zu leistungsfördernden Reaktionen provoziert. »Ihr müsst den Nominierungs- und Selektionsdruck aushalten. Sonst habt ihr im Leistungssport nichts verloren«, höre ich mich sagen. Oft ging es mir psychisch schlecht nach solchen Ansagen, gerade wenn es auf die extrem harte Phase zuging, in der wir den Kader für ein Turnier festlegten – und dabei einige, die alle Trainingsanstrengungen mitgemacht hat ten, nach Hause schicken mussten. Letztlich buchte ich für mich die Notwendigkeit, auch harte Entscheidungen zu treffen, als bedingungsloses Engagement für unser gemeinsames Ziel ab. Und so taten es auch die – meisten – Spieler.
Das lag vermutlich
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