Fünf Brüder wie wir
nichts essen. In der Schule fing ich wegen jeder Kleinigkeit zu heulen an. Immer wenn ich vor unserem Haus an den Mülltonnen vorbeikam, glaubte ich, gleich unseren tollpatschigen Welpen kläffend hervorkommen zu sehen, und mir stiegen die Tränen in die Augen.
„Ich bin mir sicher, dass er dort glücklich ist“, sagte Mama, um mich zu trösten. „Weißt du, er braucht auch Freunde. Das Tierheim ist für ihn wie ein großes Ferienlager.“
Aber ich hörte an ihrer Stimme, dass sie nicht glaubte, was sie da sagte.
Eines Abends kam Papa von der Arbeit mit einem kleinen Päckchen zurück, das er hinter dem Rücken versteckt hielt.
„Da“, meinte er hüstelnd. „Das ist für euch.“
Es handelte sich um so etwas Ähnliches wie eine Schuhschachtel, mit einem Deckel voller Löcher, der mit einer dünnen Schnur festgebunden war.
Im Innern hockte eine wunderhübsche weiße Maus.
Sie war bestimmt nicht länger als zehn Zentimeter, hatte eine spitze Schnauze und einen kleinen rosa Schwanz. Ich nahm sie in die Hand und sofort schmiegte sie sich in meinen Ärmel, als wollte sie mich adoptieren.
„Für uns?“, wiederholte ich ungläubig. „Wir dürfen sie behalten?“
„Natürlich“, sagte Papa. „Sie ist sehr sauber und hat alle Impfungen. Aber damit eins klar ist: Ich kümmer mich nicht darum, dass die Maus immer frische Streu hat!“
Wir warfen uns ihm in die Arme.
„Und du versprichst mir, dass du nicht mehr traurig bist?“, fragte er, als ich an der Reihe war.
Innerhalb weniger Minuten herrschte das fröhlichste Durcheinander: Jeder wollte die Maus streicheln und ihr einen Namen geben.
„Was haltet ihr denn von Mausejean?“, schlug Papa vor. „Der Händler hat mir fest versichert, dass es sich um ein Männchen handelt. Das … ähm … das gibt weniger Probleme.“
Papa ist ein sehr guter Arzt.
Als bei Mausejean eine Woche später der Bauch allmählich eine seltsame Rundung annahm, sagte er: „Das ist normal. Ihr gebt ihm zu viel zu fressen.“
Aber dann war er doch sehr erstaunt, als eines Morgens auf der Streu fünf beinahe durchsichtige Mäuschen lagen.
„Ich versteh das nicht“, sagte Papa. „Der Verkäufer hat mir wirklich fest versichert, dass …“
Um die ganze Mäusefamilie zu beherbergen, holten wir aus dem Keller einen alten Vogelkäfig. Die Stäbe waren aber in zu großen Abständen angebracht, deshalb stellten wir ihn in die Badewanne. Dann konnten die Mäuschen sich nicht überall in der Wohnung verirren.
Schwierig wurde es nur, wenn es Zeit für unser wöchentliches Bad war: Wir mussten sie einzeln einfangen, bevor wir uns in die Badewanne setzen konnten. Bis man eine gefangen hatte, waren die anderen schon wieder entwischt. Auf dem Email flutschten sie davon wie nichts.
Mich störte das überhaupt nicht, weil ich mich sowieso nicht gern wasche. Aber Papa schnitt immer so seltsame Grimassen. Das Badezimmer roch nach Mäusepipi und die Seifenschale war voller Mäusekötel, wie winzige Lakritze. Eines Tages förderte er sogar aus der Tasche seines Bademantels ein Mäusebaby zutage.
„Unmöglich“, sagte Mama. „Wir können sie nicht behalten. Das ist gegen alle Hygieneregeln, und erst recht wenn das Baby kommt. Außerdem vermehren sie sich auch bald untereinander. Ich werde nicht zulassen, dass euer Vater unser Zuhause in einen Zoo verwandelt!“
Papa fügte sich schuldbewusst und führte dann mit entschlossener Miene ein Gespräch mit dem Händler, bis der die Maus mitsamt den Mäuschen zurücknahm.
Es machte mir nicht so viel aus wie davor, als er Dagobert ins Tierheim brachte. Eine Maus und einen Hund kann man nicht miteinander vergleichen. Eine Maus ist vielleicht am Anfang ganz lustig, aber man kann mit ihr nicht die Spuren gefährlicher Verbrecher verfolgen oder unter einer Lawine verschüttete Bergsteiger retten.
François Archampaut behauptet, er habe einmal eine weiße Maus dressiert, sich in eine Geheimdienstzentrale einzuschleichen und dort eine Bombe explodieren zu lassen. Aber ich weiß, dass die einzige Maus, die er jemals hatte, eines Tages von Semiramis de la Trouillère roh zum Frühstück verzehrt wurde.
François behauptet, Semiramis habe die Maus für einen Doppelagenten gehalten, aber das glaube ich ihm nicht.
Eines Sonntags spielten wir am Strand Fußball, als ein Hund sich wie wild auf unseren Ball stürzte. Es war eine Promenadenmischung.
Ich habe ihn sofort am schwarzen Fleck rings um sein rechtes Auge wiedererkannt, der ihn wie einen
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