Fuer den Rest des Lebens
fügt er schnell hinzu, das passiert nur den anderen, und sie nickt bestätigend, ja, das passiert ständig, aber nur den anderen, und schon füllt sie ein weiteres Mal ihr Glas, und er möchte seine Hand auf ihre legen und die nervöse Geschäftigkeit stoppen, doch er begnügt sich damit, eine Traube abzubrechen und sie im Mund zu zerdrücken. Er hat es nicht geschafft, sagt sie, als ich ihn verlassen hatte, geriet er in eine ernste Krise, Elischewa hat ihm geholfen, wieder zu Kräften zu kommen, er hat nicht gewagt, sie zu verlassen, er hatte Angst, den Kindern wehzutun, und er hatte Angst, mir zu vertrauen, und so sind die Jahre vergangen.
Und in all den Jahren waren Sie zusammen?, fragt er, und sie antwortet, nicht die ganze Zeit, wir haben immer wieder versucht, voneinander loszukommen, er hatte Schuldgefühle, ich war wütend, erst im letzten Jahr, als seine Kinder das Haus verlassen hatten, bekam unsere Beziehung so etwas wie Zukunft, er half mir, diese Wohnung zu renovieren, wir planten, hier gemeinsam zu leben, er hatte endlich beschlossen, Elischewa alles zu sagen, aber genau da wurde er krank.
Hat Elischewa es gewusst, fragt er, und sie sagt, es gibt alle möglichen Formen von Wissen, das ist nicht eindeutig, schließlich haben wir zusammen gearbeitet, wir hatten gemeinsame Forschungsaufträge, und als er schon entschlossen war, es ihr zu erzählen und sie zu verlassen, wurde die Krankheit festgestellt, wiederholt sie, es war sinnlos geworden, ihr wehzutun. Ich habe ihn so gedrängt, sie seufzt, wer weiß, ob ihn das nicht krank gemacht hat, ich wollte ihn für mich und bekam einen toten Partner, vielleicht würde er noch leben, wenn ich bereit gewesen wäre, ihn weiterhin zu teilen, wenn man zu viel will, verliert man zu viel.
Er versucht sie zu beruhigen, gierig danach, ihr zu helfen, Sie dürfen sich nicht die Schuld geben, diese Krankheit braucht wirklich keine besonderen Gründe, wer in unserer Umgebung ist nicht krank?, fragt er, als hätten sie viele gemeinsame Bekannte, und sie sagt, es ist schwer, sich nicht die Schuld zu geben, obwohl er selbst es so sehr gewünscht hat, er wollte mit mir hier leben, sie deutet mit einer schwachen Bewegung auf das kleine, gepflegte Zimmer und betont wieder, er hat beim Renovieren geholfen, für uns war es symbolisch, weil wir uns hier verliebt haben, ich wohnte noch hier mit meinen Eltern, als wir uns kennenlernten, wir dachten, es könnte uns gelingen, ein neues Universum zu schaffen, was für eine Dummheit, sagt sie, und zum ersten Mal bemerkt er so etwas wie Bitterkeit in ihrer Stimme, und als sie erneut die Hand nach der Weinflasche ausstreckt, hält er ihr sein Glas hin, als biete er ihr an, für sie zu trinken, aber sie begnügt sich nicht mit seinem Glas, sie füllt auch ihres, mit einer Gier, wie er sie von keinem seiner Bekannten kennt, sie trinkt schnell, der Wein färbt ihre Zähne dunkellila, bis es aussieht, als sei ihr Mund so zahnlos wie der seiner Mutter, und er weicht zurück, senkt den Blick. Schau, nun liegt ihre Geschichte vor dir, dargebracht wie die Trauben, hast du dich danach gesehnt? Befriedigt dich dieses Wissen oder möchtest du die Geschichte jetzt in ihre brennenden Bestandteile zerlegen? Du wolltest wissen, aber was fängst du mit diesem Wissen an, nun, da du es in den Händen hältst?
Es ist eine weitere Lebensgeschichte, es gibt welche, die bitterer sind, eine weitere Liebesgeschichte, es gibt traurigere, was hast du damit zu tun, wo berühren sich euer beider Leben? Und er wundert sich, warum sie selbst nichts wissen will, warum sie ihm ihre Geschichte darbietet, ohne nach seinen Motiven zu fragen. Ist sie so versunken in ihren Kummer, dass sie ihn nicht wahrnimmt, oder ist es ihre Art, mit dem Leben umzugehen, verschlossen und auf sich selbst konzentriert, er kann jetzt offenbar gehen, das ist ihre Geschichte und sie wird sich nicht mehr ändern, das Urteil ist gesprochen, der Fall ist abgeschlossen, eine gewisse Leere breitet sich in ihm aus, eine schwere Leere, mit einem gewaltigen Gewicht. Du hast bekommen, was du wolltest, und was jetzt? Warum stehst du nicht auf und gehst nach Hause, nur ein paar Straßen weiter, du wirst diese Frau manchmal auf der Hauptstraße treffen, oder im Gemüsegeschäft des Viertels, ihr werdet euch zunicken, euch eine gute Woche wünschen und einen friedlichen Schabbat, ein glückliches neues Jahr und schöne Feiertage, denn was kann ein Mensch sonst zum anderen sagen, und während er sich in
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