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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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angestellt, fragt sie ihren Bruder, und was hast du überhaupt hier zu suchen, mitten am Tag? Und er sagt, ich wohne jetzt hier, ich bin von zu Hause ausgezogen.
     
    Er liebt es, diese Worte zu sagen, obwohl er manchmal das Gefühl hat, sein ganzes Leben lang hier gewohnt zu haben, er schläft auf dem schmalen Bett in dem Zimmer, das auf den Parkplatz hinausgeht, seine wenigen Kleidungsstücke befinden sich in einer Tasche, die vor dem Bett steht. Ich bin von zu Hause ausgezogen, erinnert er sich, wenn er nachts aufwacht und das Ächzen seiner Mutter hört, die Klagegeräusche eines Babys, das man nicht beruhigen kann, nicht mit einer Flasche, nicht mit einer Umarmung und nicht mit einem Schnuller, wir beweinen beide unser vergangenes Leben, Mama, und die ganze Sache kommt ihm so natürlich vor, dass er gar nicht versteht, warum er es nicht früher getan hat. Ein ganzes Leben lang kämpfst du mit dir, hast Angst, gibst dir Mühe, bedauerst, versprichst, und am Schluss passiert es wie nebenbei, ohne lange nachzudenken und zu planen, und es ist ganz natürlich und gar nichts Besonderes, letztlich ist es nur eine Kleinigkeit, und vielleicht ist auch der Tod so, macht sich klein, wenn er kommt, nachdem man sich sein Leben lang vor ihm gefürchtet hat, so bist du also, ja, so sieht unser großer Feind aus.
    Ich bin von zu Hause ausgezogen, erinnert er sich nachts selbst, ich habe ein paar Kleidungsstücke und Bücher eingepackt, meinen Laptop und mein Handy, ich habe noch nicht einmal die schlafenden Kinder geküsst, ich habe die Tür zugemacht und bin die Treppe hinuntergegangen, als würde ich nur den Mülleimer ausleeren und gleich wieder zurückkommen, und dann bin ich ins Auto gestiegen und habe nicht einmal eine Sekunde lang an sie gedacht, an ihr Erstaunen und an ihre Wut, ich habe nicht an die jahrelangen Kränkungen gedacht, die ich hinter mir ließ, und hatte keine Angst vor den kommenden Jahren, nein, alle Tabellen und Berechnungen sind zurückgeblieben, in der Grauzone der Untätigkeit, während ich mich im Zentrum des Handelns befand, gefangen und vorwärtsgetrieben: ein Mann, der in einer Nacht zum Haus seiner Mutter fährt, um in seinem alten Bett mit dem verschlissenen Bettzeug zu schlafen, um wieder da zu sein, um endlich zu leben, bevor er sterben wird.
    Ich bin von zu Hause ausgezogen, hält er sich wieder vor, ich habe die Wohnung verlassen, betont er, und nicht Schlomit, denn eine Frau zu verlassen, könnte man als Verrat auslegen, während das Verlassen einer Wohnung wohl eher ein Opfer ist, der Verzicht auf etwas Kostbares für ein höheres Ziel, aber was ist diese Wohnung und was war sie wirklich, war sie mir wirklich so teuer, und dann denkt er immer wieder an die Möbel und all die anderen Gegenstände, an die verschiedenen Ecken, an den Balkon zur Straße hin, auf den er manchmal einen Stuhl gestellt und sich in die Sonne gesetzt hat, ein Buch in der Hand, aber statt zu lesen, betrachtete er doch die Vorübergehenden, versuchte Fetzen ihrer Gespräche aufzufangen, beneidete sie insgeheim und fragte sich wie üblich, wie es sein konnte, dass alle glücklicher waren als er. Und er denkt an die Ecke im Wohnzimmer, dort steht der alte Ledersessel vor dem Fernseher, auf dem er gern herumlungerte und döste, aber normalerweise war er besetzt, und er denkt an die enge Küche, in der er immer das Gefühl hatte zu stören, auch wenn er kochte oder das Geschirr spülte, er war verantwortlich für die großen Teile und sie für die kleinen, im Grunde hat er sich in seiner eigenen Wohnung nie wohl gefühlt, ganz selten hielt er sich allein darin auf, eigentlich nur, wenn er krank war, und dann konnte er es sowieso nicht genießen, im Allgemeinen war die Wohnung jedoch ein schlimmer, unsicherer Ort, an dem er verfolgt wurde, wieder und wieder gejagt von ihren Blicken, für immer gedemütigt und schuldig. Nein, er war nicht gern zu Hause, und deshalb tut es ihm nicht leid, diese Worte zu sagen, er genießt sogar ihren Klang und das Erstaunen, das sie auf den Gesichtern der anderen hervorrufen, seiner Mutter und seiner Schwester, auch auf dem Gesicht Anatis, die von ihren kurzen Flitterwochen zurückgekehrt ist, auf den Gesichtern einiger Kollegen, und wenn er verkündet, ich habe die Wohnung verlassen, klingt seine Stimme triumphierend, als habe er einen Feind im Kampf geschlagen.
    Was bist du doch für ein Held, verspottet er sich nachts selbst, was hast du für eine heldenhafte Tat vollbracht, gegenüber

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