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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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so schnell gegangen, ohne große Überlegung und ohne Vorbereitung. Dann muss er sich eben nachträglich Gedanken machen, er muss die Zukunft vorbereiten, nachdem die Tat begangen ist, auch wenn er nicht vorhat, später etwas zu bereuen, die Möglichkeit, er würde nach Hause zurückkehren, lässt ihn schaudern, doch an die andere Wohnung denkt er Tag und Nacht, an eine kleine Wohnung in der Seitenstraße, nur durch einen fragilen Zaun von den Vorübergehenden getrennt, die sich nicht vorstellen können, dass dort, so nahe der Geschäftigkeit des Lebens, die kommende Welt zu Hause ist.
    Er schaut durch die dichten gelben Zweige, ob das Licht im Eingang brennt, horcht, ob Stimmen aus den Räumen dringen, sieht man eine Bewegung in den Fenstern? Wie dünn ist der Zaun, und trotzdem undurchsichtig, genau wie sie, denn manchmal hasst er sie geradezu, weil sie ihn nicht vermisst. Wie viel Zeit ist vergangen, über einen Monat, und sie hat noch nichts von ihren festen Gewohnheiten abgelegt, die er nun schon kennt. Gegen Abend stellt sie ihr Auto in der Nähe der Gasse ab, überquert die Hauptstraße und kauft einige Lebensmittel, dann bereitet sie sich ein Abendessen, Salat, Käse, Brot, ein Glas Wein, sie legt eine Platte auf, wieder eine Oper, ausgerechnet eine Frau, die für Worte nicht viel übrig hat, ist eine Anhängerin von Opern, und dann legt sie sich vielleicht mit einem Buch in der Hand aufs Sofa, oder sie setzt sich an den Computer und mailt mit ihren ausländischen Kollegen, offensichtlich gibt es nichts mehr, was sie traurig oder fröhlich macht, nichts regt sie auf, nichts erschüttert sie. Eine alte Jungfer, eine einsame, alte Jungfer, denkt er wütend, früher hat man solche Frauen Tante genannt, das ist Tante Talia, wird er zu seinen Kindern sagen, wenn sie ihn einmal zu ihr begleiten, und sofort erschrickt er über seine eigene Feindseligkeit. Was will er von ihr, was schuldet sie ihm, er hat sie zu einem Zeitpunkt getroffen, als sie trauerte, er hat ihr seine widersprüchlichen Hoffnungen übergestülpt und sich geärgert, weil sie nicht geteilt wurden, und er verlässt die Gasse, an der Ecke bemerkt er ihr goldfarbenes Auto, das vorher nicht da gestanden hat, und bei diesem Anblick bekommt er weiche Knie. Sie ist hier und kann ihn retten, sie ist hier und wird ihn nie retten, er lehnt sich kraftlos an das Auto, das noch warm ist, drückt die Wange ans Dach, es reagiert, er streichelt mit den Fingern über das glatte Metall und denkt daran, wie er sie damals gesucht hat, wie er kreuz und quer durch die Stadt gefahren ist, als der Sommer gerade anfing, und nun ist er zu Ende und er ist noch immer so weit entfernt von ihr wie damals.
    Ein heftiges Zittern befällt ihn, begleitet von einem Gefühl zu ersticken, was ist mit ihm, warum wird ihm plötzlich schwarz vor den Augen, ist es plötzlich dunkel geworden, ist die Sonne schon untergegangen? Er kann nichts sehen, gar nichts, aber er kann hören, eine angenehme Stimme fragt ihn, ob er Hilfe brauche, und er zögert mit der Antwort, natürlich braucht er Hilfe, aber wozu und von wem, Hilfe ist eine komplizierte Angelegenheit. Möchten Sie vielleicht etwas Wasser?, fragt die Stimme weiter, und dann wird ihm eine Flasche an den Mund gehalten und er ergreift sie dankbar, wie durstig ist er doch gewesen und hat es nicht bemerkt, auch seine Augen sind durstig, er trinkt, kippt Wasser über seine Augen, bis sein Blick klar wird und er eine großgewachsene Frau erkennt, die vor ihm steht, mit einem knochigen Körper, einem spitzen Gesicht und langen, feuchten Haaren. Zurzeit geht ein Virus um, sagt sie, mit Fieber und Schüttelfrost, ich habe ihn gerade hinter mich gebracht, ich weiß genau, wie Sie sich fühlen, und er seufzt, ja?, wie lange dauert es?, und sie sagt, nicht lange, einen oder zwei Tage, brauchen Sie Hilfe, um nach Hause zu kommen?, und er sagt, nein, es ist in Ordnung, ich wohne dort, er deutet auf den Bambuszaun.
    Kommen Sie, ich begleite Sie, schlägt sie vor, nimmt seinen Arm und stützt ihn, ihre Haare verströmen einen angenehmen Geruch nach Herbst, er versucht sich freizumachen, vielen Dank, das ist nicht nötig, es geht mir schon besser, wirklich, vielen Dank, er ist verwirrt wegen seiner Lüge, wie kann er es ihr erklären, wenn er vor dem Haus steht und keinen Schlüssel hat und zögernd, wie ein ungebetener Gast, klingeln muss. Sind Sie sicher?, fragt sie und lässt ihn sofort los, und er beeilt sich zu versichern, ja, natürlich, und

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