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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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er erkennt es an ihrer Kleidung, an ihren Gesichtern, an ihren Bewegungen, an ihrer Art zu essen, und er spürt, wie sehr er sie liebt und wie sehr er sie für das entschädigen möchte, was ihnen fehlt. Er fragt Jotam, der am Kindergarten auf ihn wartet und wie ein Äffchen auf dem Tor herumklettert, was willst du, Eis oder Pizza essen oder in den Zoo gehen? Und der Kleine antwortet begeistert, wählt meistens die letzte der aufgezählten Möglichkeiten, trotzdem hört er hinter seinen begeisterten Schreien die Verzweiflung. Es nützt auch nichts, ihn abzulenken, mit Zerstreuungen, die so süß sind, dass es einem davon schlecht wird, er begnügt sich mit dem bescheidenen Spielplatz im Viertel, nur um hinterher wieder zurückzukehren zu der Wohnung und zu dem beruhigenden Alltag, und er weiß, dass er die Kinder nur auf eine Art entschädigen kann, wenn er ihnen einen besseren Vater beschert, das liegt in seiner Macht und er schuldet es ihnen, auch wenn es ihm sehr schwerfällt, weniger dem herzerfreuenden Kleinen gegenüber, der dem Baby ähnlich sieht, das er selbst einmal gewesen ist, als dem ewig mürrischen Tomer gegenüber.
    Er muss einen Weg zu ihm finden, diesen günstigen Moment ausnutzen, nun, da Schlomit ihren Griff lockert, denn in diesem Land ist die Zeit, die Väter mit ihren Söhnen verbringen, knapp bemessen, und wenn er nachts wach liegt und seine Gedanken von seiner Mutter, die wie ein Baby wimmert, zur Mutter seiner Söhne springen und dann zu der Frau, die nie eine Mutter sein wird, muss er ausgerechnet immer wieder an sein Land denken. Er hat das Gefühl, als sei seine Verbundenheit mit dem Land gewachsen, seit er das Haus verlassen hat, er klammert sich an das Land und sein Schicksal mit immer größer werdender Sorge, manchmal empfindet er Schadenfreude, weil es ihn so sehr enttäuscht hat, dann wieder zählt er die Fehler des Landes auf, und manchmal sind es die Schwierigkeiten, die ihn mit dem Land verbinden, dann schnürt ihm die Trauer den Hals zu und es ist ihm so nah wie seine Mutter und seine Schwester, wie sie ist das Land kompliziert und defekt, und wie seine Mutter und seine Schwester ist ihm das Land sehr lieb in seiner Not, und er beweint sein Schicksal, als wäre es schon untergegangen, soundso viele Jahre hat es einen Staat gegeben, und dann ist er vor der Zeit alt und morsch geworden, und er wundert sich über seinen Tod, wie er sich über den Tod von Menschen wundern würde, über den zu erwartenden Tod seiner Mutter. Er fragt sich, wie es passieren wird, welchen Körperteil das System zuerst zusammenbrechen lassen wird, welches Unglück den Staat zerstören wird, dem es nicht gelingt, von seinen Bürgern geliebt zu werden, den Staat, der seine Bürger dazu zwingen wird, ihn zu betrügen und im Stich zu lassen, genau wie Schlomit, und manchmal hat er das Gefühl, verrückt zu werden, wenn er nachts Diskussionen mit seinem Staat führt, ihn beschimpft und ihm Vorhaltungen macht, sein Herz klopft vor Zorn, wenn er an seine unerträglichen Ansprüche denkt, ein Staat, der sich auf so vielen Toten aufbaut, die ihn weiterhin mit erhobenen Armen stützen, die allerdings immer schwächer werden. Zehntausende junger Toter, fast noch Kinder, die ihre Arme nach oben strecken, und der Staat macht es sich einfach auf ihnen bequem, zu schwer, um ihn zu tragen, zu faul, dumm, gefräßig und durstig.
    Kleide dich in Sack und Asche und faste, schreit er den Staat an, dann schaffst du es vielleicht noch, dich zu retten, wenn nicht um der Lebenden, dann doch um der Toten willen, aber der Staat antwortet mit einem schallenden Lachen, wer bist du, dass du mir eine Strafpredigt halten kannst? Du hast mich geschwächt und hast mich betrogen, wegen Menschen wie dir bin ich krank geworden, und jetzt bin ich krank, schreit er ihn an, und seine Schreie mischen sich mit dem Wimmern seiner Mutter, mit dem Weinen eines Babys in einer Nachbarwohnung. Weine nicht, Jotami, flüstert er, es ist nur ein schlechter Traum, Papa ist hier bei dir, Papa passt auf dich auf, aber er ist nicht bei ihm und wenn ihm etwas passiert, wird er es nicht hören, was bleibt von seinem Vatersein, wenn er seinen Sohn nachts nicht weinen hört. Er muss sich bald eine Wohnung suchen und ein Zimmer für seine Kinder einrichten, aber am Morgen, wenn er auf der Fahrt zwischen der Wohnung seiner Mutter und seiner Kanzlei in der Innenstadt im Stau steckt, beruhigt er sich, es ist noch zu früh, sich irgendwo niederzulassen, es ist alles

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