Fuer den Rest des Lebens
sondern auch an die Stunden, die sie gemeinsam auf ein Urteil gewartet hatten, an die Fälle, an die politische Lage, an die Kinder, wie gern hat Ali von seinem Sohn Ibrahim erzählt, dem Stolz der Familie, der in Jordanien Medizin studierte. Ich kann nicht, ich kann ihn nicht verteidigen, sagte er schließlich, es tut mir leid, sie standen einander gegenüber, schweigend, und die vielen Jahre, die sie sich kannten, stürzten in sich zusammen angesichts dieser Minute, bis Ali sich umdrehte und ging, und seither hat er ihn nicht mehr gesehen.
Später hörte er, dass es dem Rechtsanwalt aus Ramallah, der die Verteidigung übernommen hatte, gelungen war, die Beteiligung des jungen Mannes herunterzuspielen, deshalb wurde er nur zu zwanzig Jahren verurteilt, aber nicht lange, nachdem die Bande verhaftet worden war, gelang es einer anderen Bande, den Horror in die Tat umzusetzen, an einem Schabbatabend, als er und Schlomit und die Kinder zu Hause waren, doch das Cafe war voller junger Leute, und zehn Namen wurden in den Stein gehauen, ihr Andenken sei gesegnet, und er hatte sich wieder und wieder vorgesagt, was passiert war, manchmal beschimpfte er sich selbst, weil er nicht bereit gewesen war, den Sohn seines Freundes, den lebenslängliche Haft erwartete, zu verteidigen. Wer hat dich denn zum Richter gemacht? Schließlich kannst und musst du nicht wissen, was der Richter letztlich weiß und wie er sich entscheidet, hat dieser Junge nicht die gleiche Verteidigung verdient wie jeder andere? Trotzdem, ich versuche, mich für die Menschenrechte einzusetzen, nicht im Namen des einen oder anderen Volkes, und was ist ein Attentat anderes als eine Verletzung der Menschenrechte? Ich lasse mich nicht durch Geld korrumpieren, rechtfertigte er sich vor sich selbst, es gibt Rechtsanwälte, die jeden verteidigen würden, so einer bin ich nicht, weder im Guten noch im Schlechten. Aber vor allem erschreckte ihn die Tatsache, dass es trotzdem passierte, dass man das Attentat im Schechar nicht verhindern konnte, weder die Verhafteten noch die Gerichte und auch nicht sein Verzicht und damit der Verlust seines Freundes, und er stand hilflos dieser tragischen Logik gegenüber, es war wie in einem grausamen Kindermärchen, auch wenn man das Schicksal mit all seinen Windungen kennt, wird es einem nicht gelingen, den Verlauf aufzuhalten, und jetzt überquert er schnell die Straße, zwei Jahre sind seit jenem Morgen vergangen, hat er damals den Glauben an sich selbst verloren, nachdem ihm der Glaube an die Realität längst abhandengekommen war?
Ja, die Realität hatte ihn lange davor verzweifeln lassen, und nicht nur die Realität dieses Landes, dieser Stadt. Manchmal, wenn er eine belebte Straße entlanggeht, wenn er die Spielzeuge betrachtet, die sich der Mensch geschaffen hat, Autos und Flugzeuge, Waffen und Sprengstoffladungen, legale und illegale Drogen, Handys, bewegliche und unbewegliche Geräte, dann tut ihm der Mensch leid, dem es zwar gelungen ist, seine Umwelt, aber nicht sich selbst zu vervollkommnen, er beschleunigt nur seine eigene Verletzbarkeit, denn je mehr Möglichkeiten es gibt, verletzt zu werden, umso weniger bleiben, sich zu schützen, das geht so weit, dass er sich jeden Abend darüber wundert, dass er noch da ist, dass sein Haus noch steht, dass er seit dem Tod seines Vaters damals, als er noch Jugendlicher war, bis zum Tod Rafael Alons nie frontal auf den Tod gestoßen ist, sondern nur indirekt, was ihn jetzt bedrückt und fast mit Schuldgefühlen zurücklässt.
Er stößt einen erleichterten Seufzer aus, als er das Treppenhaus betritt, er öffnet die Tür zu seinem Büro und trifft sie, wie sie mühsam den großen Trinkwasserbehälter wechselt, sie hält den vollen Tank, als wäre er ein Baby. Bald wird sie ein Baby haben, denkt er, als er sich verlegen an ihr Gespräch erinnert, es sei denn, sie beherzigt seinen Rat und überlegt es sich anders. Wie konnte er es wagen, sie auf einen möglichen Fehler hinzuweisen, statt sie mit bequemen Worten zu beruhigen, zum Beispiel hätte er sagen können, es wären die normalen Konflikte bei schicksalhaften Entscheidungen, die eher mit der eigenen Persönlichkeit zu tun haben als mit der Entscheidung selbst.
Wir kommen zu spät zum Gericht, Avni, ich habe angerufen, aber du bist nicht ans Telefon gegangen, mit einem vertraulichen Lächeln drängt sie ihn zur Eile, als wären sie gerade von einer Liebesnacht aufgewacht, und er schaut auf die Uhr, wie lange der Weg gedauert hat,
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