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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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fast eine Stunde von seiner Wohnung hierher, er ist so langsam gegangen, als wäre die ganze Welt bereit, auf ihn zu warten, der Richter, die Rechtsanwälte, die Zeugen, der Angeklagte und die Geschworenen. Tut mir leid, ich bin ohne Auto, sagt er, ich habe es in der Werkstatt gelassen, und sie fragt erstaunt, in der Werkstatt? Du hast doch gesagt, du hättest den Schlüssel verloren, und er wehrt verlegen ab, lass doch, das ist nicht wichtig, wir nehmen einfach ein Taxi, hast du die Unterlagen? Die neuen Fotografien? Klar, ich habe schon alles eingepackt, und auch ihr Körper ist fest eingepackt, und er wundert sich, wie sie es schafft, ihn mit ihrer Kleidung zu zähmen, eine schwarze Bluse mit einem spitzen weißen Kragen, eine schwarze Hose, Kleidungsstücke, auf die er, wie er meint, am vergangenen Abend getreten ist, aber jetzt ist ihnen nichts anzusehen, und vor allem wundert er sich über die Entschlossenheit, mit der sie unterwegs mit ihm spricht, sie scheint keinen Zweifel an der Unschuld ihrer Mandanten zu haben, nicht in diesem Fall und nicht in anderen, und ihm ist klar, dass sie, hätte er ihr von Ali erzählt, dies heftig missbilligen würde, und in diesem Moment denkt er zum ersten Mal, dass Ali selbst es gewesen sein könnte, der das Attentat im Schechar geplant und sein Sohn nichts damit zu tun hatte.
    Noch immer liebt er die Auftritte vor Gericht, obwohl er den Grund für diese Liebe immer weniger versteht. Ist es die klare Ordnung, die ihm die Sicherheit verleiht, dass jeder seinen Platz und seine Aufgabe kennt, ist es die archaische Förmlichkeit, die nichts mit diesem Land zu tun zu haben scheint, außer durch den Ort, an dem sie stattfindet, sie erinnert ihn eher an die Geschichten seines Vaters, und vielleicht ist es auch die Theatralik, schließlich ist es nichts anderes als eine Aufführung, trotz der schicksalhaften Urteile, selbst wenn der Raum eher einem Klassenzimmer als einem Theatersaal gleicht. Ein schicksalhaftes Kindertheater spielt hier, sie sind verkleidet, tragen schwarze Roben, schmücken sich mit Formulierungen, die nicht die ihren sind, stehen auf, wenn die Richterin eintritt, stehen auf, wenn sie ein Plädoyer halten, sprechen sich mit Ehrentiteln an, achten auf ironische Zurückhaltung, und die Worte, die aus ihrem Mund strömen, bekommen endlich ihr wahres Gewicht. Hier darf man sie nicht nachlässig verwenden, schließlich wird jedes Wort aufgeschrieben, und zwar mit einer solchen Sorgfalt, dass man manchmal meinen könnte, die Versammlung sei nur zu diesem Zweck einberufen worden, sie seien alle in ihren Roben hier versammelt, um die Gerichtsschreiberin dabei zu unterstützen, das Ereignis zu dokumentieren, jenen Abend in Nablus, während der Ausgangssperre, vor fast drei Jahren, zu Beginn der Dämmerung, als vor dem Panzerwagen, den die Soldaten »den Grausamen« nennen, eine Brandbombe geworfen wurde, die durch die enge Luke drang und das Gesicht und die Arme des Zeugen verletzte, und als er dann im Lauf des Abends drei verdächtige Gestalten davonschleichen sah, gab er den Befehl zu schießen.
    Der Maschinengewehrschütze sagt aus, er habe eine Gestalt zu Boden stürzen sehen und zwei Gestalten, die sich über ihn beugten, und da wussten wir nicht, dass wir getroffen hatten, denn wenn geschossen wird, wirft man sich sowieso auf die Erde, und ich dachte, das ist vielleicht eine Falle, wie hätten wir in der Dunkelheit wissen sollen, dass es Friedensaktivisten aus Europa sind, und das alles wiederholt die Richterin in der ersten Person, im Rhythmus eines Diktats, als wäre sie selbst dort gewesen, in dem »Grausamen«, und habe durch den Schlitz die gefährlichen Straßen beobachtet, und während Avner dem diensthabenden Offizier der Patrouille zuhört, einem jungen Mann mit kurz geschnittenen schwarzen Haaren und einem nicht ganz zugeknöpften Hemd, das die braun gebrannte Brust sehen lässt, steigt wieder der alte Zorn gegen sie auf, gegen all die Männer, die den Traum seiner Jugend verwirklicht haben, und ein brennendes Gefühl des Versagens bleibt zurück. Fast wäre er wie sie geworden, wie diese Männer, die in die Luft sprengen und in die Luft gesprengt werden, die verwunden und verwundet werden, aber die Krankheit seines Vaters hatte seinen Traum zerstört, für den er sich monatelang angestrengt hatte, mit endlosen Dauerläufen und Liegestützen und damit, dass er jeden Morgen Gewichte stemmte. Sieben Wochen lang hatte er die Grundausbildung auf dem Golan

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