Für ein Lied und hundert Lieder
sagte man ›die Reichen bestehlen, um den Armen zu helfen‹, welcher von den Helden vom Liang-Shan-Moor ist kein Räuber?«
»Ich verstehe deine krause Logik nicht.«
»Wir waren arm zu Hause, meine jüngere Schwester ging zur Schule, also konnte ich dann nicht, die Ausgaben für das erwachsene Mädchen waren hoch, und dann waren da noch die Eltern und ein schwachsinniger kleiner Bruder, die hingen alle von dem ab, was ich verdiente.«
»Und da blieb dir nichts anderes übrig, als zu stehlen?«
»Schau dir meine Hände und Finger an, grob wie Knüppel, der geborene Räuber. Aber heute leben wir nicht mehr in der alten Gesellschaft, früher konnte man auf den Berg steigen und bei der Kommunistischen Partei Zuflucht suchen, man kann als Partisan kämpfen, und je mehr Reiche man umbringt, umso größer ist der Verdienst.«
»Erzähl mir von deinem Fall!«
»Ich habe mich ein paar Jahre allein durchgeschlagen, es ist nie etwas vorgefallen. Aber dieses Mal wollte ich eine Kooperative ausrauben, dazu brauchte ich Hilfe. Also verabredete ich mich mit ein paar Gesinnungsgenossen.«
»Wir baldowerten das aus und brachen in einer verregneten Nacht durch das Dach ein. Ich tastete mich in den Raum, ich hielt dem Diensthabenden einen Dolch vor die Brust und zwang ihn, den Safe aufzumachen. Ein anderer wäre vor Schreck in Ohnmacht gefallen, außerdem waren es ohnehin öffentliche Gelder, wir hatten vor, uns das Geld zu schnappen und abzuhauen, wer würde dafür schon sein Leben riskieren? Aber da fing der Wachhabende auf einmal an »Haltet den Dieb!« zu schreien, der alte Kerl war eigentlich der Chef der Kooperative, Mitglied der Kommunistischen Partei, ein (wie es in dem Bericht hieß) aus einem besonderen Holz geschnitzter Mann. Als ich sah, wie er am Vermögen des Staates hing, war ich sehr bewegt und habe ihm die Dolchspitze ganz sacht so einen halben Zoll ins Fleisch gedrückt, meine Bewegung war ganz sanft, ich glaubte, das Blut werde den Mann besänftigen, er sollte ja nur den Mund halten, ich hätte sofort das Messer wieder herausgezogen, aber ich brauchte das Geld, unbedingt. Wie hätte ich wissen sollen, dass der Alte, kaum dass Blut floss, völlig ausrasten und mich mit Zähnen und Klauen packen würde? Eine brenzlige Situation, was sollte ich machen, ich drückte ihm das Messer noch einen Zoll tiefer rein. Der Alte stand heldenhaft mit dem Rücken zur Wand, sein Gesicht sprühte vor Wut, aber seine laute Stimme verstummte mit einem Schmerzenslaut, wie etwas, das in der Mitte auseinandergeschnitten wird. Ich wickelte seine Jacke um das Messer, stopfte sie in die Wunde und zog die Spitze sacht aus dem Kleidungsstück. Mit diesem Pfropfen blieb das Blut im Körper, nach außen hin blieb alles ganz sauber. Bedauernd stützte ich ihn an der Schulter, beugte die Knie und ließ diesen unsterblichen Körper sich hinlegen und ruhen …«
Beim Zuhören lief es mir eiskalt den Rücken herunter, der alte Xie platzte dazwischen: »Ein Mord mit Humor.«
»Das war meine Arbeit«, spottete Mao Shengyong, »ohne Humor kann man das nicht machen.«
Jetzt sitze ich am Tisch, erinnere mich an die letzten Augenblicke eines Todeskandidaten, alles weit weg, und doch bewegt es mich noch immer. Die Sterne am Himmel klirren wie Ketten und Fesseln, irgendwann, mitten in der Nacht, rüttelte Mao Shengyong mich wach, er wollte, dass ich mir mit ihm das Sternenlicht auf den Schultern des Waschsoldaten ansehe. Hin und wieder schlugen seine Fesseln und Ketten: »Eine zusätzliche Doppelwache«, flüsterte er mir ins Ohr.
»Wieso?«
»Die Revision des Urteils dauert schon neunundvierzig Tage«, er zählte es an den Fingern ab, »ich muss mich auf den Weg machen.«
Ich konnte darauf nichts sagen.
»Willst du nichts zu mir sagen?«
»Ich kann nichts sagen.« Ich zwang mich zu einem Lachen.
»Im Ausland, bevor sich da die Todeskandidaten auf den Weg machen, ist da ein Priester, der für sie betet.«
»Ich glaube nicht an Gott.«
»Du glaubst.«
»In diesem Land glaubt niemand an Gott.«
»Du glaubst.«
»Na gut, dann glaube ich halt.« Ich schloss müde die Augen und sagte: »Aber es hilft nichts, wenn man nicht so viel nachdenkt, lässt es sich besser aushalten.«
»Ich will klar sein, wenn ich sterbe«, Mao Shengyong zog meine Schulter nahe an sich heran, »ich will mit dir über das Leben sprechen.«
»Dafür reicht die Zeit nicht, das ist eine große Frage.«
»Verdammte Scheiße, ihr Intellektuellen seid doch alle
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