Fuer Elise
nämlich nichts verloren!"
Sie erschrak über ihre Stimme, die in der Grotte nachhallte. Er zog eine Schnute.
"Mich plagt keine Schuld, wenn du das meinst. Ich fühle mich wunderbar.
Danke der Nachfrage."
Es stand unverhohlener Spott in seinen Worten, doch sein Blick und Ton blieben ernst. Elise wägte ihre Chancen ab.
"Also bist du nur ein böses Wesen? Nicht mehr?"
"Böse?" lachte er und hob die Handflächen gen Decke. Lässig lehnte er sich mit einem Arm auf die Waagrechte eines Kreuzes und schlug ein Bein übers andere.
"Warum stellt ihr Menschen Euch so selbstverständlich über alles?"
Er wippte einmal mit der Hand, die auf dem Kreuz lag.
"Woher kommt diese Eitelkeit? Was, wenn es Wesen gäbe, die über Euch stünden?" Sein Blick gewann an Eindringlichkeit, sein Körper löste sich geschmeidig vom Kreuz, als gäbe es keine Schwerkraft, "Wenn diese Wesen stärker, mächtiger, intelligenter wären als ihr?" hauchte er und kam in langen Schritten auf sie zu, ohne sie aus dem Käfig seines Blickes zu entlassen.
Elise kämpfte gegen den Drang zurückzuweichen und verwurzelte ihre Füße vor ihrem inneren Auge im Boden.
"Dürften diese - um bei deiner Logik zu bleiben - Euch benutzen, töten und gar züchten?"
Das letzte Wort hauchte er ihr direkt ins Gesicht. Ihr Gehirn verweigerte jeden Dienst. Seine Worte besaßen eine widerliche Logik. Widerlich und intelligent.
Sie hatte nie darüber nachgedacht, ob die Verwandlung in einen Vampir auch die intellektuelle Fähigkeit steigern konnte...
"Und du stehst also über mir?" vollendete sie seine These.
Magnus verharrte einige Zentimeter vor ihrem Gesicht. Sie hatte die Bewegung seiner Hand nicht gesehen, spürte nur, dass ihre Haare von ihrer Schulter gefegt wurden und sein Blick sich auf die Senke an ihrem Hals legte.
Sie konnte ein Zucken nicht vermeiden und die ungewollte Bewegung löste seinen Blick von der Stelle. Zur Antwort lächelte er von oben herab.
"Du hast sie alle getötet?" stotterte Elise.
"Ich hänge wohl an ihnen." sagte er und trat einen Schritt zurück, während er mit der Hand eine ausschweifende Geste über das Gräberfeld zog.
"Vielleicht wollte ich ihnen ein Schicksal in der Hölle ersparen und sie begraben, wie es sich gehört…? Vielleicht kann ich nicht mehr für sie tun,…" er pausierte und deutete auf eines der Gräber "…als das?"
War das eine Frage oder eine Aussage? Ihr wurde schwindelig. Widerwillig stützte sie sich auf das Kreuz, das ihr am nächsten stand.
"Du hast also Schuldempfinden?" entgegnete sie entkräftet. Die Luft hier unten war schlecht.
"Hast du Schuldempfinden, als Mensch, mit all seinen bestialischen Facetten?"
Sie konnte diese absurd-moralische Diskussion nicht gewinnen, weil sie zu keinem klaren Gedanken fähig war. Krampfhaft überlegte sie, wie sie zum Wesentlichen kommen konnte, als ein ohrenbetäubendes Klatschen die Höhle erfüllte und Magnus' Blick in einen Schockzustand wechselte. Dieses Gesicht, das Gesicht eines Vampirs in Angst genügte, um Elise das Blut in den Adern gefrieren zu lassen.
Ohne Erklärung riss er das Laken hinter dem frischen Grab in die Luft, wo es sich zu einem Segel öffnete. Dann war er auch schon bei ihr, riss sie zu Boden, griff nach oben und zog das Leinen über sich und ihren Körper. Ein ekelhaft süßlicher und eisenhaltiger Gestank würgte Elise, als sich der Stoff mit einem Luftzug über sie legte.
Sie kannte den Geruch.
Es war ein benutztes Leichentuch!
Elise schrie, doch Magnus packte sie. Sie wehrte sich, warf sich herum und spürte gleichzeitig Hunderte wütender Flügelschläge über dem Laken.
Magnus' Griff verstärkte sich. Er schüttelte sie, zwang sie ihn anzusehen und Elise konnte der Lähmung seines Blicks nicht widerstehen. Sein Zeigefinger legte sich über ihre Lippen und Elise erstickte ihren Schrei, indem sie die Luft anhielt, was auch den Ekel vor dem Gestank abflauen ließ. Magnus entfernte sich einige Zentimeter von ihrem Körper, streckte die flache Hand nach oben und hob das Laken an, wobei es sich der Berührung mit ihrer Haut entzog und eine Art Zeltdach bildete. Nach einer Ewigkeit flaute das Dröhnen ab.
Keiner der beiden bewegte sich.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie Magnus die ganze Zeit über ansah.
N icht nur das. Sie hielt sich regelrecht fest an seinem Blick.
Magnus besaß einen ruhigen Ausdruck und Elise wusste endlich, warum. Er blinzelte nie. Sie knieten sich noch immer gegenüber, die Blicke ineinander
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