Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
im Bauch und musste plötzlich selbst über sich lachen.
Später am Abend stand Harry in der Tür der Hütte, in der Hand eine Dose Cola.
Er zwang sich, nicht nach Florence Ausschau zu halten, und schaute stattdessen seiner Großmutter nach, die den Strand entlangging. Sie sah toll aus, heute Abend, trug ein weißes T-Shirt, dreiviertellange Jeans, mit Pailletten besetzte Sandalen und über der Schulter eine dunkelblaue Jacke. Zum ersten Mal in diesem Sommer hatte sie strahlend gelächelt. Und trotz seiner inneren Leere sah er einen kleinen Hoffnungsschimmer. Jane hatte regelrecht gesprüht vor Lebensfreude, und wenn sie das konnte, nach allem, was sie durchgemacht hatte, dann konnte er das ja vielleicht auch. Noch nicht, nicht heute, aber eines Tages.
Vielleicht schon bald.
7
Treibholz
Marisa Miller betrat das Sands Hotel mit einem schicken Koffer und einem Lächeln für das Personal.
Alle mochten Mrs. Miller. Der Portier stand stramm, anstatt sich zu überlegen, wie er sich für eine Zigarette verdrücken konnte. Die junge Frau an der Rezeption richtete sich kerzengerade auf und vergaß ihre Menstruations schmerzen. Und der Manager kam mit ausgestreckter Hand aus seinem Büro geeilt, wo er über seine Wettschulden nachgegrübelt und sich gefragt hatte, wie er überhaupt in diesen Schlamassel hatte geraten können, und begrüßte sie mit einem breiten Lächeln.
Steven wünschte, alle Hotelgäste wären so charmant wie Mrs. Miller. Wie viel leichter wäre sein Leben dann gewesen. Und er wünschte, er könnte ihr den Service bieten, den sie eigentlich verdient hatte. Er fand es beschämend, dass das Hotel aufgrund der wirtschaftlichen Situation an allen Ecken und Enden sparen musste. Die Handtücher waren nicht mehr so dick und flauschig wie letztes Mal, als sie hier gewesen war, es gab weniger Personal, und der abendliche Zimmerservice war gestrichen. Früher hatte man nachmittags noch einmal diskret aufgeräumt, die Kopfkissen aufgeschüttelt, die Vorhänge zugezogen und die Nachttischlampe eingeschaltet. Wenn der Gast am Abend in sein Zimmer kam, sah es genauso aus, wie er es verlassen hatte.
Steven hatte dem Personal eingeschärft, sich ganz besonders um Mrs. Miller zu bemühen. Sie hatte ihm in einem persönlichen Brief ihre Ankunft angekündigt. Seit dem Tod ihres Mannes sei nun ein halbes Jahr vergangen, hatte sie geschrieben, und sie fühle sich jetzt stark genug, um an den Ort zurückzukehren, an dem sie immer den Sommerurlaub verbracht hatten. Der Manager betrachtete ihre Entscheidung als eine Ehre und war entschlossen, dafür zu sorgen, dass Mrs. Miller sie nicht bereute.
In letzter Zeit passierte es nicht oft, dass er stolz auf seine Arbeit war. Wie auch – es wurde einem ja nichts gedankt. Die Leute waren so schnell bei der Hand, sich zu beschweren – sie hatten an allem und jedem etwas auszusetzen in der Hoffnung, einen Teil des Preises erstattet zu bekommen –, warum also sollte er sich dann besondere Mühe geben? Es widerte ihn selbst an, dass er so zynisch geworden war. Als er seine Ausbildung auf der Hotelfachschule gemacht hatte, hatte sich noch alles um den Kunden gedreht. Jetzt drehte sich alles nur noch darum, die Kosten zu verringern.
Aber für Mrs. Miller würde er eine Ausnahme machen. Für sie war nur das Beste gut genug. Daunenweiche Handtücher. Pralinen auf dem Kopfkissen. Frische Blumen im Zimmer. Außerdem hatte er eine der Strandhütten des Hotels für sie reserviert. Das Hotel besaß zwei Hütten, die von den Gästen zusätzlich tageweise gemietet werden konnten. Mrs. Miller bekam ihre für die ganze Woche und ohne Preisaufschlag. Schließlich kam sie schon seit über dreißig Jahren ins Sands. Und es war Steven egal, wenn er sich damit Ärger einhandelte.
Anstatt seine ausgestreckte Hand zu nehmen, fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn auf beide Wangen. Ihre Haut fühlte sich angenehm kühl an.
»Steven! Wie schön, Sie zu sehen!«
Er atmete ihren Duft ein. Jicky von Guerlain. Das wusste er, weil immer eine Flasche davon auf ihrem Schminktisch stand. Nicht, dass er ein Stalker gewesen wäre, aber der Duft verfolgte ihn, seit er ihr zum ersten Mal begegnet war, und er hatte wissen wollen, was es war. Heutzutage rochen Frauen oft unangenehm süßlich. Mrs. Miller dagegen hinterließ stets einen frischen Hauch von Lavendel und Vanille, der einen faszinierte, anstatt zu erschlagen. Steven hatte überlegt, seiner Frau eine Flasche davon zu kaufen, aber sie hatte ihn
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