Fuer immer du
sagte ich und drängte sie in Richtung Haustür.
An der Tür befreite sie sich aus meinem Gr iff und zog mich in ihre Arme. »Ich vertraue dir«, seufzte sie.
Oder auch nicht, dachte ich und fragte mich, ob ich resignieren sollte, weil ich im Grunde wusste, dass ich Schuld war. Oder ob ich wütend sein sollte, weil sie mich behandelte wie einen Schwerverbrecher, dem sie gezwungen war, ihr Haus anzuvertrauen. Vielleicht sollte ich mal nachsehen, was sich alles bei Ebay veräußern lass en würde, überlegte ich bissig.
»D as Taxi. Mach dir keine Sorgen. Opa und Oma sind auch noch da. Sie werden nicht zulassen, dass ich deinen Schmuck verschachere oder das Haus abbrenne.«
Meine Mutter nickte und ich reichte ihr ihre Handtasche. Sie griff danach, dann weiteten sich ihre Augen und sie stürmte an mir vorbei. »Hab ich den Herd ausgemacht? Und das Fenster im Keller? Sie haben Regen gemeldet. Nicht, dass der Keller unter Wasser steht, wenn wir wiederkommen.«
Genervt stapfte ich hinter der verrückten Frau hinterher. »Frau Weller!«, sagte ich mit lauter, fester Stimme. »Der Herd ist aus, das Bügeleisen nicht benutzt worden und das Kellerfenster schließe ich sofort. Auch kontrolliere ich alle anderen Fenster, ob irgendwo ein Wasserhahn nicht abgedreht wurde oder ob das Haus in Flammen steht. Ich verspreche es. Und jetzt raus mit dir, bevor das Taxi ohne dich fährt.«
Meine Mutter lächelte mich verlegen an, zog mich noch einmal in ihre Arme und ließ sich dann endlich von mir nach draußen begleiten. Als das Taxi dann verschwunden war, atmete ich erleichtert aus.
Allein.
Meine Eltern endlich losgeworden und zum ersten Mal in meinem Leben für längere Zeit auf mich gestellt, schlich ich mich mit einer Mischung aus freudiger Erwartung und Selbstzweifeln zurück in das Haus, das in den nächsten Tagen mir allein gehören würde.
In der Küche schaltete ich das Radio an, weil mir die Stille, die ich mir sonst oft herbeigesehnt hatte, schon jetzt unbehaglich erschien. Es freute mich , endlich mal ein paar Tage nur für mich sein zu können und ich sah den kommenden Tagen voller Vorfreude entgegen, und doch fühlten sich die Wände plötzlich bedrückend eng an, oder vielleicht unheimlich weit an? Ich war mir noch nicht sicher. Ich wusste nur, dass meine Eltern gerade wenige Minuten weg waren und schon kam mir das Haus unbehaglich fremd vor.
Auf dem Tisch in der Küche stand mein Frühstück bereit. Wehmütig lächelnd löffelte ich erst die Schüssel mit meinem Schokoknuspermüsli leer und widmete mich gleich darauf dem perfekten Frühstücksei und dem knusprig aufgebackenem Brötchen. Für die nächste n Tage würde ich auf mein Ei zum Frühstück verzichten müssen, denn ich mochte es weder zu weich noch zu hart. Beides kam aber auf den Tisch, wenn ich mich am Kochen versuchte. Ich hatte im Laufe meiner Versuche viele Methoden entwickelt, ein Hühnerei zu kochen, aber nicht eine hatte mich zum perfekten Frühstücksei geführt.
Während ich nun mein vollkommenes Frühstück genoss, bereitete ich mich seelisch und moralisch auf die nächste Unterrichtswoche vor.
Die erste Woche an meiner neuen Schule war, soweit man das von einer Mädchenschule sagen konnte, normal verlaufen. Der Unterricht war der gleiche wie an meiner alten Schule, die Lehrer waren genauso langweilig und das Kantinenessen genauso schlecht.
Das F ehlen des männlichen Geschlechts hatte ganz entgegen meiner anfänglichen Meinung sogar etwas Gutes; die Eifersuchtsdramen und der Kampf, um den tollsten Typen in der Schule zu ergattern, fiel aus. Das machte das Leben an der Schule fast schon etwas weniger mädchenhaft, denn eines der Hauptgesprächsthemen war einfach nicht vorhanden. Was für mich bis dahin völlig neu war, war, dass man sich mit Mädchen auch ganz gut über andere Themen unterhalten konnte. Durch die Schuluniformen gab es auch keinen Wettbewerb um die schönsten, teuersten oder ausgefallensten Klamotten. Im Grunde waren wir alle gleich. Keine besser, keine schlechter.
In der dritten Stunde hatte ich Soziale Integration. Und wenn ich dachte, dass unsere erste Stunde bei der Dietrich schon Feng Shui war, dann war die zweite total schräg. Zu Beginn hatte ich noch ein Grummeln im Magen, weil ich das Bild meines inneren Ichs noch immer nicht fertig hatte, doch das legte sich fast sofort wieder, denn die Dietrich hatte uns alle in die Turnhalle beordert. Ich war davon ausgegangen, dass soziale Integration vielleicht auch
Weitere Kostenlose Bücher