Fuer immer du
Freundin zu tun? Hatte er ihr vielleicht nicht helfen können? In meinem Magen bildete sich ein Knoten, bei der Vorstellung, was er vielleicht hatte durchmachen müssen. War seine Freundin in eine ähnliche Situation geraten wie ich und er hatte ihr nicht helfen können? Wahrscheinlich lebte er seither mit einer Wut auf sich selbst? Lebte in einer Welt von Selbstzweifeln und Hass. Eine Faust schloss sich um mein Herz und drückte unbarmherzig zu. Kein Wunder, dass er sich vor der Außenwelt verschloss und sich vollkommen zurückzog.
Adrian wandte mir den Rücken zu und trat an eines der Bücherregale. Der Anblick seiner Rückfront riss mich aus meinen Gedanken. Erschrocken keuchte ich auf. Wie konnte das sein? Auf Adrians Rücken befanden sich an den gleichen Stellen wie bei Sam zwei breite Verbrennungsnarben. Warum hatten beide diese Narben und was konnte so etwas verursacht haben? Mein Fuß löste sich schon vom Boden, um hinter ihn zu treten, als er sich ruckartig zu mir umdrehte, die Augen vor Schreck weit aufgerissen. Ihm schien gerade bewusst geworden zu sein, dass ich etwas gesehen hatte, was ich nicht hatte sehen sollen.
»Danke trotzdem«, sagte ich schnell, um die Situation zu überspielen. »Das war wirklich knapp gewesen.«
»Vergiss es einfach! Achte nur besser darauf, einsame Gegenden nicht zum Spaziergang zu nutzen.« Das klang ziemlich vorwurfsvoll und versetzte mir einen heftigen Stich. Aber es bestätigte mir auch meine Vermutung in Bezug auf Adrians Freundin. Wahrscheinlich hatte sie einsame Gegenden nicht gemieden. Aber andererseits, wie passte Sam dort hinein? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er etwas in der Art getan hatte. Nein. Ich schüttelte den Kopf, um die Bilder zu vertreiben, die in meine Gedanken krochen.
»Werde ich«, sagte ich leise.
Hinter uns wurde die Tür aufgerissen und Sam trat über das ganze Gesicht strahlend ein. »Wir haben Besuch?«
Ich lächelte nicht zurück und Sam sah mich mit hochgezogener Augenbraue fragend an. »Hat er sich wieder daneben benommen? Adrian kann mit Frauen nicht umgehen. Du musst ihm also verzeihen.«
»Nein. Er war … nett«, sagte ich zögernd. Ich schob mich an Sam vorbei aus dem Haus. »Ich geh dann jetzt. Ich habe noch was zu erledigen.«
Um über Anna etwas herausfinden zu können, musste ich mich in die Bibliothek der Marienschule begeben. Die Bibliothek stammte noch aus Zeiten des Klosters und sollte, so wurde behauptet, ein umfangreiches Archiv über die Geschichte der Gegend beinhalten. Sie war so groß, dass sie fast den gesamten Keller der drei Gebäude einnahm. Unzählige Regale standen hintereinander aufgereiht. Es roch nach muffigem Papier und das grelle Licht der Neonröhren tat mir in den Augen weh.
Es war ruhig hier unten. Alle Schülerinnen befanden sich noch im Unterricht. Andererseits bezweifelte ich, dass die Bibliothek von vielen genutzt wurde. Es gab hier nur die alte Dame hinter der Ausg abe und mich.
Die Bibliothekarin saß in einem bequemen Sessel über eine Strickarbeit gebeugt. Selbst als ich den Raum betreten hatte, hatte sie nicht von ihrer Arbeit aufgeblickt. Ich trat an den Tisch heran und musste schmunzeln, als mir der Gedanke kam, dass sie genau so aussah, wie man sich eine Großmutter vorstellte, die vor hundert Jahren gelebt haben könnte. Ihr Haar war in einem straffen Knoten am Hinterkopf festgesteckt. Auf der Nasenspitze saß eine Brille mit dicken Gläsern . Und sie trug ein Kleid, das vielleicht modern gewesen war, bevor meine Mutter geboren wurde. Ihre Hände zitterten während sie Masche um Masche aufhob und doch strickte sie schneller, als ich es je könnte. Ganz zu schweigen vom Endergebnis. Meine Strickversuche konnte man allenfalls als Fischernetz benutzen. Die Bibliothekarin dagegen, schien ein Kleid für ein kleines Mädchen aus roter und weißer Wolle zu stricken.
Als ich ihr einen Guten Tag wünschte, blickte sie endlich auf, ihre Hände arbeiteten trotzdem unermüdlich weiter.
»Was kann ich für dich tun?«, sagte sie mit rauer, kratziger Stimme.
»Ich suche Informationen über die Marienhöhe. Vielleicht einen Familienstammbaum. Wichtige Ereignisse, die letzten Besitzer. All so was.«
Die alte Dame zog erstaunt die Augenbrauen hoch und musterte mich. »Du interessierst dich für die Marienhöhe? Eine Hausaufgabe?«
»Ja«, sagte ich nach kurzem Zögern. Wozu wirre Erklärungen abgeben, zumal ich selbst nicht wusste, was ich hoffte zu fi nden. Wenn ich überhaupt etwas
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