Fuer immer du
von München. Ein Nachbar fand den Gutsherren Friedhold von Falkenberg in höchst bedenklichem Zustand vor der Kapelle seines Gutes vor.
Im Inneren der Kapelle bot sich dem Zeugen ein noch weitaus schlimmerer Anblick. Das über die bayrischen Grenzen hinaus bekannte Buntglasfenster mit dem Bildnis des Erzengels Michael war zerstört worden. Die Tochter des von Falkenberg, Anna von Falkenberg, lag erstochen auf dem Altar, gekleidet in ein schwarzes Gewand, wie man es aus schwarzen Messen kennt.
Der bis dahin immer bei bester Gesundheit gewesene von Falkenberg musste in eine Anstalt gebracht werden. Zeugen berichten, er fantasiere von guten und bösen Engeln mit riesigen Flügeln und Feuerschwertern. Derzeit ist noch unklar, ob nicht gar der verwirrte Vater selbst sein Kind auf dem Gewissen hat.
Weiterhin unter Tatverdacht stehen der Stallbursche, dessen Identität bis Dato unbekannt ist, und der Verlobte der jungen Anna von Falkenberg. Es gibt Gerüchte, die besagen, die junge Frau und der Stallbursche hatten sich näher gestanden als schicklich wäre. Von beiden Verdächtigen fehlt bislang jede Spur.
Was mich völlig aus der Fassung brachte, war das Foto, unter dem in kleinen, kaum noch lesbaren Buchstaben stand: Samuel Engelmann, Verlobter der Verstorbenen.
Mein Herz hämmerte wie verrückt in meiner Brust. Minutenlang starrte ich dieses Schwarz-Weiß-Foto an und suchte nach Unterschieden, die nicht da waren. Das Foto war alt und verblichen, und es war nicht gerade ein Porträt-Bild, vielmehr ein Schnappschuss, der Samuel Engelmann im Schatten eines Baumes zeigte. Aber ich war mir sicher, so unmöglich es auch erschien, auf diesem Bild war Sam zu sehen. Ein Bild in einer Zeitung aus dem Jahre 1913, fast 100 Jahre in der Vergangenheit. Wie konnte so etwas möglich sein? Ich schickte den Artikel an den Drucker, der neben dem Schreibtisch der Bibliothekarin stand. Sam würde mir einiges zu erklären haben.
Oder doch nicht?, überlegte ich und dachte daran, wie ähnlich Anna mir war und ich konnte mir diese Ähnlichkeit auch nicht erklären. Woher nahm ich die Gewissheit, das s Sam das konnte? Vielleicht war alles nichts weiter als ein dummer Zufall? Aber gab es so viele Zufälle auf einmal?
Jemand legte mir eine Hand auf die Schulter und ich fuhr erschrocken zusammen. »Entschuldigung, benötigen sie das Taxi noch?«
Ich blickte zu dem Mann hinter mir auf und musste mir erst das Wasser aus den Augen blinzeln, um in ihm meinen Taxifahrer zu erkennen.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich und runzelte besorgt die Stirn.
Ich nickte. »Nur der Monitor. Hat meine Augen etwas überanstrengt«, antwortete ich und wusste, dass meine brüchige Stimme etwas anderes sagte.
»Also brauchen Sie mich noch?«
Ich starrte den Mann an und es war fast, als müsste ich mich erst aus einer Schicht Watte an die Oberfläche kämpfen. »Ja, natürlich.«
Ich ließ alles auf dem Tisch liegen und folgte dem Mann. Als ich am Schreibtisch der Bibliothekarin vorbeikam, reichte sie mir den Ausdruck und nickte mir zu. Ich fragte mich, was sie wirklich wusste? Offensichtlich mehr. Nur, woher wusste sie, dass es dieser Artikel war, der für mich wichtig sein könnte? Jetzt hatte ich aber nicht den Nerv, weiter nachzuhaken. Was ich gesehen hatte, musste ich erst einmal verarbeiten. Vielleicht später, wenn ich mit Sam gesprochen hatte. Wenn ich das konnte. Vielleicht würde er mich aber auch für verrückt erklären? Und am Ende fand ich mich dort wieder, wo auch der Alte von Falkenberg hingebracht worden war.
Nein, er wusste etwas. Musste er. Warum hätte er mir sonst Annas Porträt zeigen wollen? Weil sie aussah wie ich, beantwortete ich mir meine eigene Frage. Die meisten anderen hätten mir dieses Bild wohl auch gezeigt. Meine Mutter würde es wahrscheinlich sofort kaufen, wenn sie davon wüsste. Zwei Menschen, zwei Mal die gleichen Gesichter, zwei unterschiedliche Jahrhunderte. Ich schüttelte verzweifelt den Kopf und ließ mich auf den Rücksitz des Taxis sinken.
12. Kapitel
D as Taxi hielt vor dem Haus. Mit noch immer zittrigen Beinen stieg ich aus und reichte dem Fahrer sein Geld. Hinter mir ertönte das Klopfen eines Hammers auf Holz. Ich wandte mich langsam um und entdeckte meinen Opa, der den Teil des Weidezauns reparierte, den der Baum umgerissen hatte. Und ich sah Sam, der auf dem Dach des Schuppens kniete.
Das Taxi fuhr los und ich stand unschlüssig auf der Straße. Ganz unvermittelt kam mir der Gedanke; kann es
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