Für immer, Emily (German Edition)
nicht. Warte, ich frage sie mal.“ Er hörte, wie Mara nach ihrer Schwester rief und ein paar Worte mit ihr wechselte, dann war sie wieder am Apparat. „Nein, sie hat nichts gesagt, aber Andrea meint, sie hätte ausgesehen, als ob sie geweint hätte. Hattet ihr Streit, Niclas? Sie wollte doch nach Feierabend zu dir.“
Er zögerte. „Ja, da war sie auch. Kurz. Sie hat da etwas total missverstanden und ist gleich wieder gefahren. Und nun weiß ich nicht, wo sie ist. Wo könnte sie denn hin sein bei dem Mistwetter?“
„Also habt ihr euch gestritten?“
Niclas verdrehte die Augen. „Ja, wenn du so willst, ja. Streitest du dich nie mit Thomas?“
Mara schien zu überlegen. „Doch, sicher. Also, ich weiß nicht, wo sie sein könnte. Soll ich dir suchen helfen?“
„Nein, lass man, ich finde sie schon. Okay, ich muss los. Danke, Mara. Rufst du mich an, wenn Emily sich bei dir meldet?“
„Ja, mach ich. Ruf du mich bitte auch an.“
Niclas ging zu seiner Maschine zurück, zog den Helm über und blieb noch einen Moment stehen. Er hatte keine Ahnung, wo Emily sein könnte. Es goss wie aus Kübeln, es war kühl und unangenehm. Wo war sie nur? Er stieg auf und fuhr langsam los. Nach und nach klapperte er alle Bekannten ab, von denen er dachte, Emily könnte sie besuchen, aber niemand hatte sie gesehen. Er rief bei Kevin und Susan an und fuhr wieder zu Emilys Haus zurück, aber dort war nach wie vor alles dunkel. Ihre Nachbarin, Mrs. Johnson, fiel ihm ein, er wusste, wie sehr Emily die alte Dame mochte. Also klingelte er bei ihr, aber als die Tür geöffnet wurde und Mrs. Johnson ihn fragend ansah, war ihm bereits klar, dass Emily auch hier nicht war. Er probierte es immer wieder auf ihrem Handy, aber niemand meldete sich, und allmählich begann er sich wirklich Sorgen zu machen. Nachdem er sich bei Mrs. Johnson für die Störung entschuldigt hatte, fuhr er zu dem kleinen Bahnhof in der Stadt. Vielleicht war Emily so sauer, dass sie zu ihren Eltern fahren wollte? Auf den Fahrplänen jedoch sah er, dass in den letzen zwei Stunden kein Zug gegangen war, den sie hätte nehmen können. In seiner zunehmenden Verzweiflung fuhr er sogar zum Baumarkt, der ja immer noch geöffnet hatte, in der unsinnigen Hoffnung, dass Emily vielleicht noch ein wenig hatte arbeiten wollen. Mr. Gray versicherte ihm jedoch, dass sie, nachdem sie vorhin gegangen war, nicht mehr hier gewesen sei. Anschließend fuhr er zum einzigen Kino der Stadt, denn mit einem schönen Film konnte man sich bei diesem Wetter ganz gut die Zeit vertreiben, außerdem war es auch eine gute Ablenkung. Er zeigte dem Mann an der Kasse Emilys Foto, das er im Geldbeutel hatte, doch der schüttelte den Kopf.
„Verdammt, das gibt’s doch nicht. Komm schon, Em, geh doch endlich ran und sag mir, wo du bist und dass alles in Ordnung ist.“ Niclas starrte auf das Handy und fühlte eine eiskalte Angst in sich aufsteigen. Wo war Emily? Es würde ihr doch nichts zugestoßen sein? Aber dann wären doch Mara und ihre Familie benachrichtigt worden, oder vielleicht sogar er selbst. Nein, sie war okay. Ganz bestimmt. Aber warum meldete sie sich nicht bei ihm? Konnte sie sich nicht denken, dass er fast verrückt wurde vor Sorge um sie? Sie wusste doch, dass er mit solchen Situationen nicht gut klarkam. War sie so wütend auf ihn, dass es ihr egal war, wie er sich fühlte? Das passte gar nicht zu Emily. Er versuchte, sich einzureden, auch wütend auf sie zu sein, aber die Angst in ihm wurde immer stärker, und er fühlte sich unsagbar elend. Die alten Erinnerungen stiegen wieder in ihm auf und krallten sich wie Kletten in seinen Gedanken fest.
Mittlerweile wusste er wirklich nicht mehr, wo er noch suchen sollte, konnte aber auch nicht untätig herumsitzen. Und so fuhr er zum Friedhof und hastete zum Grab seiner Mutter, in der Hoffnung, Emily vielleicht hier zu finden, aber auf dem ganzen Gelände war keine Menschenseele zu sehen. Niclas starrte voller Frustration auf das Grab. Die Blumen und Pflanzen waren triefnass und ließen genauso traurig den Kopf hängen wie er selbst. Und plötzlich wusste er es. Er wusste, wo Emily war. Wieso nur war er nicht schon früher drauf gekommen? Wohin hatte er selbst sich denn schon oft zurückgezogen, wenn es ihm so richtig dreckig ging? An seinen Lieblingsplatz auf den Hügeln über der Stadt. Emily liebte diesen Ort ebenfalls und dort hatte sie vielleicht das Gefühl, ihm nahe sein zu können. Sie hatte zwar kein Auto, aber man konnte auch
Weitere Kostenlose Bücher