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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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plötzlich viel Raum, Quatsch zu denken. Am Ende schlief Teufel bei Philip, auf der alten Couch von Frau Flasch, auf der es in der bewußten, verheimlichten Nacht zumindest ein paar verschämte Zärtlichkeiten zwischen Philip und Zetta gegeben hatte. Philip lag auf seinem Bett, auf dem Bauch, verschwitzt wie seit dem Sommer nicht mehr. Er spürte alle Knochen jaulen, die Astrid Riedler und ihre Leute ihm misshandelt hatten.
    Teufel träumte in dieser Nacht von Zetta. Sie teilte ihm von Drüben mit, daß sie froh war: »Es isch gar nit so blöd, wie du meinsch, daß ich des überlebt hab, wo die Nazis zum Treff komme sin, un denn nocher doch an sellem Schissdreck verreckt bin. Des paßt scho.«
    Philip dagegen träumte von seinem Zwilling, dem er, getrennt durch einen Spiegel, auf dem Krankenhausbett mit den Gewichten am Gips gegenüberlag. Auch sein Gegenüber war malerisch auf was Weiches gebettet: auf Polster, in einem Sarg, lange Kerzen umstanden ihn, Spieße staken rechts und links in Erde.
    Der Zwilling richtete sich auf, so weit er konnte, fast fünfundvierzig Grad, stützte sich ellenbogensolid auf dem Sargrand ab und sagte: »Als ich fast schon zwei Jahre bei der Zeitung war, die sich das im Weltmaßstab dann doch nicht ganz allmächtige einheimische Großkapital so lange gehalten hat, wie es eine Zeitung brauchte, die mehr als nur die brutalsten bürgerlichen Grundspielregeln – Eigentum und Antikommunismus – zu verteidigen versteht, habe ich die Werkausgabe eines kommunistischen Schriftstellers besprochen. Ich lobte den kommunistischen Schriftsteller dafür, daß er seiner kommunistischen Sache diente, indem er zeigte, daß kommunistische Schriftsteller im Zeitalter einer von ihren eigenen sinnlosen Siegen demoralisierten und von den Folgen dieser Siege angefressenen Bourgeoisie etwas können, was bourgeoise Schriftsteller nicht mehr können: Klassik erstreben, und alle Kriterien für Klassik, die nicht beim Publikum und der Überlieferung liegen – diese beiden sind zufällig und der Befassung unwürdig –, auch erfüllen. Daß ich nicht dazuschrieb, daß ich die kommunistischen Ansichten des Schriftstellers teile, war nicht feige, sondern sinnvoll: Wie hätte das denn ausgesehen, wie kokett und dumm, außerdem anmaßend? Vorausgesetzt, es wäre da stehengeblieben: Auch keine Kleinigkeit. Eine Weile später starb der kommunistische Schriftsteller. Ich war an dem Tag, als das geschah, fern der Redaktion und ihrer kleinen Außenstellen, mein Handy war nicht eingeschaltet. Spät abends erst hörte ich meine Mailbox ab und erfuhr, daß der kommunistische Schriftsteller tot war. Ich hatte die Gelegenheit verpaßt, ihm einen Nachruf zu schreiben, und war froh drum, denn daß er tot war, regte nicht zu Überlegungen an, wie sie die Werkausgabe ausgelöst hatte. Tod regt eh selten an, und dieser war nur schlimm und machte alles dunkler. Am nächsten Tag erschien in der angeschossenen bourgeoisen Zeitung, der ich als ihr Mietling dienen durfte, ein sehr netter Nachruf eines Nichtkommunisten, der mein Kollege war und fast keine antikommunistischen Ergebenheitswendungen in seine vom ästhetischen Standpunkt aus gesehen völlig ordentliche und gerechte Würdigung des Toten einbaute. Bald darauf hielt ich mich wieder in der Redaktion auf, und dort zeigte mir der Kollege einen Leserbrief. Der Leserbrief stammte von einem Menschen, der in München lebt und dort den Marxismus erforscht, anstatt die Welt mit dem Marxismus, wie Kommunisten sollten. Der Brief bestand aus wenigen Zeilen Text und tobte da so rum, was das für ein Scheißnachruf gewesen sei, aber ja wenigstens nicht von mir, den man nämlich als exlinks nur verachten könne. Zum Abschluß bekundete der Marxismusforscher aus München, der außerdem Musik von Schwar­zen liebt und viel darüber spricht und schreibt, noch einmal unaufgefordert seinen großen Respekt vor dem Toten. Weder der Kollege, der geschmäht wurde, noch ich, den es mit erwischt hat, haben je in einem Wort den Respekt vor jenem Toten verletzt. Der Leserbriefschreiber aber nutzte die erste sich bietende Gelegenheit nach dem Tod des von ihm angeblich Geliebten, diesen zu ehren, indem er zwei Leute ohne den Schatten einer Begründung anspuckte, die den Toten mit ihren ja vielleicht untauglichen, aber immerhin doch real genutzten Mitteln noch einmal ins Bewußtsein der faulen und trägen Öffentlichkeit hatten heben wollen, wo sein Name bald wieder im Dreck des sonstigen Getues und Gemaches

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