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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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mit den Milliarden Schweißperlen am Hals und auf der Stirn – Valerie erinnerte sich also, während die toxische Fischinnerei auf ihrer Zunge zerging, an etwas, das sie erlebt hatte, und ließ zu, daß sie wußte, daß sie das gar nicht gewesen war, sondern ich.
    Die Dosis des Tetrodotoxins, die Schöninchen ihrem Metabolismus zuführte, war reichhaltig genug, eine Dissoziation ihres Geistes von einigen der irrigen Daten zu bewirken, die an den Rezeptorstellen ihres Nervensystems eintrafen, dort, wo dieses Nervensystem seine Fühler ins Fluidum der verkehrten Welt getaucht hatte. Das Gift, von eingeweihten Haitianern seit vielen Menschenaltern als wichtigster Bestandteil ihres heiligen Zombiepulvers geschätzt, entstammte auf der Voudon-Insel gewöhnlich nicht ausschließlich ein und derselben Seefischsorte, sondern je nach Zauberpriester und lokaler Loge mal dem »Poisson Fufu«, mal dem »Bilan«, mal dem »Crapaud du mer« oder der Spezies, welche die Amerikaner und Engländer »Blowfish« nennen.
    Höchstanteilig konzentriert ist das Tetrodotoxin bei all diesen Arten in der Haut, der Leber, den Eierstöcken, Hoden und Innereien.
    Valerie sah, wie Stefanie ein winziges Stückchen Fisch auf die Gabel nahm, sich darüber beugte, als wäre es eine Briefmarke und die Gabel eine Pinzette, drauf schaute, und dann, als sich Stefanies Mund öffnete und die Zunge daraus hervorguckte, das Zeug berührte und Stefanie es sich in den Mund schob, wanderte Valeries Blick zur Seite, wo sie über Stefanies Schulter an dem Tischchen, auf dem der präparierte tote Biber stand, zwei Männer sitzen sah, eigenartig schief, in Rollkragenpullis und Cordjacken, mit Händen, die sich um langstielige Gläser krallten, verkrümmt von Arthritis.
    Die Wangen der Männer waren graufeuchte Leberläppchen, auf ihren Stirnen standen dunkelrote Male schweren Skorbuts, beider Lippen waren angeschwollen wie von Quincke-Ödemen. Auf diesen Lippen las Schöninchen, wie der eine zum andern leise sagte: »Es ist ja mehr eine Erlebnisgastronomie als ein normales Restaurant … eine Vorstellung … Schade, daß Heiner Müller das nicht mehr hat erleben dürfen …«
    Da empfand Valerie ein eigenartiges Gefühl, als ginge ihr im Brustkorb eine schwarze Blüte auf. Sehr stolzer, ganz richtiger Haß auf solche Leute: die falschesten Toten überhaupt.
    Ja, Heiner Müller: Den habe ich mal im Fernsehen gesehen, wie er sich mit seinem langen goethischen Genießer-Watschengesicht und seiner schnupfenverschleimten Nasenstimme wichtig machen durfte – von wegen wie bescheiden er sei und was für ein abgeklärt-funktionalistisches Verständnis seiner Rolle er pflege, als Künstler und Autor, nee also, hatte er da bei ARTE geschlabbert, nee ich bin ja »kein Autor mehr in so einem altmodischen Sinn, der sich als Verursacher von etwas versteht, ich bin ja nur ein ganz normaler Arbeiter«.
    Und das – dachte Valerie und zwinkerte Stefanie aufmunternd zu, die jetzt das zweite Stückchen Fugu-Innereien mit der Gabel aufnahm, während Valerie selbst schon beim fünften war – das, diese arme Scheiße da, sollte dann womöglich auch noch irgendwie rebellisch und sozialistisch sein, sich als Künstler erbärmlichst sozialistischrealistischopportunistisch selbst aufzuheben, als ginge es ausgerechnet beim Sozialismus darum, die Ohnmacht, die der Markt den Leuten aufdrückt, durch eine Ohnmacht unmittelbarer Unterordnung unter bescheuerte Kollektive zu ersetzen – als hätte Marx nicht gesagt, er strebe eine Welt an, wo die freie Entfaltung des Einzelnen die Bedingung der freien Entfaltung aller sei.
    Klar klingt das überholt, weil die Leute heute ökonomisch totgemacht werden, weil kaum noch jemand anders lebt als abhängig, aber das spitzt man dann doch nicht kaltschnäuzig bis zur völligen Nichtswürdigkeit der eigenen Sprechposition zu, um womöglich noch als der dolle Widersacher des Systems dazustehen.
    Fühlt sich funky an, diese Wut, dachte Valerie, und wußte zugleich, daß sie hier die Empörung von jemand Fremdem kostete, der noch ganz andere Abneigungen lebte … überhaupt, Theater: Alle, ausnahmslos alle dem Bühnenbetrieb nahestehenden Menschen, die (ich) Robert (ich) (Valerie) Rolf Thiel (ich) je kennengelernt (hatte) habe (Ausnahme: Goetz), waren die faulsten Menschen, so flakey wie Kopfschuppen, matschig wie Kompost, Schlamm in trüben Tanks.
    Ein Blödmann, den ich getroffen habe, etwa schrieb Theaterszenen, lose unverbunden zu Stücken oder Abenden

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