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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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hinunter. Der Wangenknochen lag frei, und die beinerne Strenge der so entstandenen Züge wurde nur vom milden Funkeln im darüberliegenden, ganz schwarzen Auge etwas abgemildert.
    »Das Kerzenlicht steht ihr sehr gut, findste nicht?« flüsterte Schöninchen. Stefanie schluckte, als sie viel zu spät erkannte, was an jenem Tisch außer Abendessen zu zweit noch vor sich ging: Die schweren Röcke aus einem Stoff, der an Vorhänge in Rokokoschlössern denken ließ, waren viel zu faltig Richtung Torso der Frau hin zusammengedrückt, also gerafft, und ja, natürlich, jetzt sah sie, warum die Zombotikerin kleckerte: Sie aß nur mit einer Hand, die andere lag in dem Schoß, zwischen den Wellen aus Stoff, geteiltes Meer.
    Seelenruhig faßte die Tote sich an, masturbierte beim Essen, und ihr Liebhaber – wie alt war der eigentlich? Der Fadenbart auf der Oberlippe machte ihn jünger statt älter, aber konnte das wirklich sein: ein Knabe von höchstens achtzehn Jahren? – tat, als ahnte er nicht das geringste von dem, was sich sechs Handbreit von ihm entfernt abspielte. Es war, als kraulte sie bloß eine Katze. Jetzt aber fing sie zu zittern an. Kompott hing ihr am Hals, auf der Wange, die Gabel senkte sie seufzend, zerdrückte damit langsam, mühsam beherrscht eine Krokette. Ihr Prinz war von Witzen jetzt offenbar zu halblauten Liebesschwüren übergegangen, von denen nur winzigste Fussel an Stefanies Ohr dran gen: »Immer … für ewig eine … dir … wenn ich auch mal sterbe, ­könnten wir … alles … immer …«, während die Angeredete ihre Beine neben dem Tisch anwinkelte. Sie war barfuß, und zwei der Zehen des linken Fußes waren angefressen. Knochenspitzen schauten aus den Fleischringen hervor.
    Der Oberkörper zuckte, sie atmete stoßweise durch wie Pferdenüstern geblähte Nasenflügel. Stefanie wandte sich ab.
    »Ihr Hauptgang, meine Damen«, knurrte Skriba rasselnd.
    Von Schlangenzungen moduliert, zischte Sumpfgas in seiner Rede mit, wohlig entweichend aus Hohlräumen tief unterwärts, aus den Verliesen seiner mit Dreck, Schleim und Käfern gefüllten Brust, als wollte er sagen: In mir ist viel begraben, nichts davon tot.
    Stefanie beschloß, den Anflug von Verwesung nicht mehr an sich heranzulassen: »Schön. Vielen Dank an den Koch – wie heißt die Flunder noch mal?«
    »Fugu«, sagte Valerie, »die Japaner nennen das Tier Fugu-Fisch.«
    »Das ist ein … bei Ihnen hier sagt man: Kugelfisch«, flüsterte Skriba.
    »Es ist meine Pflicht, Sie daran zu erinnern, daß wir keine Verantwortung für die Fugu …«
    »Keine Ausreden, Freundchen. Fugel dich!« gab Stefanie ihr Bestes und hoffte, es möge genügen. Skriba wußte, wann er geschlagen war, und trollte sich.
    Das Gefühl der Wärme, dachte Schöninchen, als die kleine wabbelige Innerei auf ihrer Zunge lag. Gaumen, dann der gesamte ­Mund­innenraum, kribbelten giftgeschmacksgetränkt, und Valerie entsann sich: In Israel war das, an dem nomadischen Tag in der Wüste, im Zelt, da waren wir der Länge nach dagelegen, hatten gekeucht und gejapst wie die Hunde. Die liegenden Frauen schienen uns Rüden natürlich besonders lecker, mit ihren … wie sagt man bei Hunden? Flanken? Und da hat der leidenschaftlichste und beste Kopf unter den Israelis zu mir gesagt – kurz bevor aufgetragen wurde und uns der Musikant mit arabischer Musik begeistert hat, zu der wir einträchtig klatschten, nicht wie im Musikantenstadl, sondern wirklich als Abschlag auf das höhere Einverständnis, das die singenden Instrumente uns stifteten – da also hat Gadi gesagt, in seinem schönen, pantherverschnurrten Englisch: Weißt Du, Robert, ich bin der Aufklärung an sich natürlich so dankbar wie nur irgendein Intellektueller, aber manchmal frage ich mich, ob wir die Argumente der Gegenseite genug bedacht haben. Ob man wirklich darauf setzen kann, auf les lumières, ob Goethe da nicht seinen finalen falschen Seufzer getan hat, mit diesem »Mehr Licht«, denn ein kluger Spanier von der anderen Seite, ein Reaktionär aus dem Bilderbuch, hält ihm einen sehr erwägenswerten Gedanken entgegen: nicht mehr Licht, mehr Wärme.
    Denn die Menschen sterben an der Kälte, nicht an der Dunkelheit.
    Schöninchen lächelte bei der Erinnerung, und fand gar nichts dabei, daß sie so genau wußte, wie die Finger des Musikers auf dem Gehäuse seiner seltsamen Gitarren geklopft hatten, wie die saftigen Bratenscheiben rochen, wie die reizendste der vielen Schönheiten von Tel Aviv ausgesehen hatte,

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