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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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einfach nicht hin gucken, öfter als nötig muß man das aufgeplatzte Chassis nicht bewundern, rief Stefanie sich zur Ordnung –, schlapfte zur langen Tafel unter den Totenkopfkerzenständern an der Südwand und nahm dort ein Tablett auf, mit dem er, bar jeder Grazie beim Sichumwenden und der neuerlichen Annäherung, Stefanie und Valerie zwei Sushi-Schälchen an den Tisch gabelstapelte. Daß das, was in den Schälchen war, aus dem Meer kam, war für Stefanie Mehring das eine: Darüber wußte sie Bescheid. Warum aber zwischen den weißen Stücken kleine blaue Fädchen lagen, die leuchteten wie die Hinterteile von Glühwürmchen – sofern es denn blaue Neon-Glühwürmchen gab –, das war das völlig andere, eine Erinnerung daran, was nicht stimmte: Wir sind nicht mehr auf meinem und Dieters Planeten. Wir sind im Äh, im Hoppla und vielleicht schon längst im Achdulieberhimmel.
    Schöninchen nahm ein Fischfragment und zwei der biolumineszenten Fädchen zwischen Daumen und Zeigefinger der Linken, führte es an den Mund, legte den Kopf zurück, schloss die Augen und ließ den feucht glänzenden, nicht besonders großen Haps im Mund verschwin den. Ihr Mund, genau – den ich, dachte Stefanie, wahrscheinlich auch noch küssen wollen würde, wenn er backendick mit Kaninchenkacke gefüllt wäre.
    Hörigkeit? Was soll’s, es ist sowieso viel zu einfach zu sagen: Ich bin halt die, die ich bin, akzeptiert mich, ich akzeptiere mich selbst. Lieber mal, wegen Liebe, unverantwortliche Veränderungen zulassen. Küß mich, Schöninchen. So dachte sie. Und sagte es nicht, sondern: »Ich glaube, ich mag die Leuchtnudeln nicht besonders. Ich probier mal so’n kleines rosanes.« Dann tat sie’s, mit dem kleinen Rosanen, Schöninchen gleich, und fand den Geschmack erfreulich: Statt daran zu würgen, wie sie befürchtet hatte, schluckte sie gern und griff sofort wieder ins Schälchen, während Skriba seinen gewohnt quälend verschleppten Abgang feierte, wie einen besonders fauligen Ritus, im Land der übermüdeten Menschenfresser. Umdrehen, gurgeln, schluchzend atmen, davonwatscheln. Der geht jetzt das Hauptgericht holen: Zweimal Gefühl der Wärme mit Todesrisiko bitte, dachte Stefanie, als ginge es um jemand anderen als sie und Valerie, und sagte dann zu dieser, witzig zwinkernd wie Anke Engelke: »Oh, dieses Sushi ist kein Pfuschi!«
    Valerie tat ihr den Gefallen, darauf zu kichern wie ein Schnee­glöckchen.
    Endlich wurde es freundlicher, richtig abendlich, zwischen den Blicken, überm Tisch, endlich waren die richtigen Saiten angeschlagen. Valerie streckte ihr rechtes Bein aus, am Tisch vorbei, legte den Fuß neben Stefanies Hüfte, und die nahm, nachdem sie sich noch ein bißchen was vom rohen Fisch in den Mund gesteckt hatte, mit beiden Händen den Fuß, streifte den Schuh ab und massierte Sohle, Zehen, Spanne.
    Sie glaubte, etwas in ihrem Körperrumpf zu spüren, zwischen Rückgrat, Po und Oberschenkeln: Wurde unter ihnen der Sonnenfleckenboden lebendig?
    Tiefgestimmte Streicher: Cellobögen strichen an ihren Nerven lang – der richtige Moment, ihren Blick in Valeries zu senken, einander kurz anzuschauen, und dann den Kopf zu drehen, sich im Raum umzuschauen: zeitentrückt aufgehoben in dem endlos wehenden Song von Broadcast, der aus Lautsprechern kam, die einander in mehr Dimensionen gegenübergestellt schienen, als Stefanie zu kennen glaubte.
    Die andern Gäste wiegten sich sogar ein wenig auf ihren Sitzkissen, als wären das Schwämme und sie selbst darin vertrauensvoll verwurzelte Halmpflanzen und Farnwedel. Ein Paar zu ihrer beider Rechten aß zusammen Kaninchen mit Preiselbeeren und Kroketten. Die Frau war tot, das heißt: zurückgeholt von drüben, alterslos schön, aristokratisch bleich.
    Sie kleckerte beim Essen mit dem marmeladig roten, süßknatschigen Kompott. Ihr Begleiter, ein geckenhaft herausgeputzter Pulp-Fiction-Galan mit bauschigem Binder und eierschalenfarbenem Rüschenhemd unter der scharlachroten Cordjacke, machte Witze beim Spachteln, über die er aus reinem Entgegenkommen auch gleich selber lachte, weil Madame – wegen Fürnehmheit? – leider daran verhindert war. Wenn man genauer hinsah, was Stefanie, von diesem Pärchen fasziniert, jetzt tat, erkannte man, warum sie nicht lachen wollte, obwohl das vielleicht hö flich gewesen wäre: Es hätte die Integrität ihrer Züge und damit ihre Würde beschädigt, denn ihr fehlte ein Stück vom Gesicht, links, vom Mundwinkel bis ungefähr zum Ohr

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