Für immer in Honig
und stellte sich, praktisch auf Probe, ob er noch stehen konnte, mitten ins stille Zimmer. Draußen war es immer noch Nacht, aber schon ordentlich fortgeschritten schwarz jetzt.
Das Apartment lag im siebten Stock. So sah Torsten durchs Fenster einiges vom stadtwärts übriggebliebenen Leuchten der elektrischen Lampen, aber doch auch ein paar Sterne und den halben Mond, der auffällig unecht und hohl leuchtete, als wäre er heute bloß aus Plastik, weil der echte gerade repariert wurde.
Das talgige Kerzenlicht rings leckte an Torstens Haut, auf der Schweiß trocknete: Ich stehe im freundlichen Wind. Streng, aber schlau sah Cordula Späth ihn an, aus ihrem Rahmen, Svenja daneben wirkte, als schäme sie sich ein wenig, den Blick nicht von dem Nackten abwenden zu können, die schwarze Frau schien geistesabwesend, in ihre göttliche Gescheitheit tief versunken.
Und Valerie? Torsten drehte sich zum Bett um.
Tja, da werde ich mich ja nun wohl irgendwie entscheiden müssen. Ob ich … was ich da jetzt mache, mit meinem Wissen, meinen beinahe gemachten Fotos, der Entdeckung von der fremden Frau in Valeries Leben. Sarah hat mich in der Hand – jedenfalls hat sie mich vor zehn Minuten noch in der Hand gehabt, grinste Torsten – und diese Kooperation mit Valeries Vater ist eh … ja, nee, Momentchen mal, ist sie wirklich so doof, also eigentlich schon vorbei?
Jedenfalls aufgeflogen.
Sarah sagt, ich müßte ihr deshalb, wie war das? »Zu Willen sein«. Na, nichts dagegen. Aber außerdem, und da wird es kitzlig, soll ich Valeries Alten mit falschen Auskünften versorgen – sonst sagt sie, Sarah, alles Valerie, und dann habe ich nichts mehr für den Alten, das noch wertvoll wäre, ganz abgesehen von dem großen Knall, mit dem meine Rache in diesem Moment geplatzt wäre, über deren genauen Plan ich übrigens auch noch gar nicht richtig nachgedacht habe. Extrem souverän, das alles, buh.
Torsten fühlte sich, als wäre das letztlich gar nicht er gewesen, der diese Rache gewollt hatte, sondern ein anderer, jüngerer, vor allem dümmerer Mensch – weshalb so bitter, kleiner Junge? Weil Valerie ihn nicht als Mausi hatte behalten wollen? Wie viele Jahre war das her? Er hob seine Unterhose auf, die Jeans, das T-Shirt. Ging dann zur Bücherwand, um sich da anzuziehen.
Zwischen zwei Büchern, fiel ihm dabei auf, als er mit Ausnahme der Socken, Schuhe und seiner Jacke wieder vollständig bekleidet war, steckte ein zusammengefalteter Zettel, schneeweiß, ganz glatt, neu.
Torsten zog ihn mit Daumen und Zeigefinger vorsichtig raus. Einen Moment zögerte und lauschte er – das Wasser rauschte noch, und sie lachten, nebenan.
Dann faltete er den Zettel auf und las, was mit Füller in leuchtendem Skarabäusgrün und schöner Frauenhandschrift auf dem DIN-A 4-Papierchen stand, das er aus der Klemme zwischen den von Nicolas de Malézieu verfaßten »Eléments de géometrie« von 1705 und Luigi Malaspina di Sannazaros »Delle leggi de bello applicate alla pittura ed architettura Saggio« von 1791 befreit hatte:
»Die Inferenzregel für die existenzielle Quantifikation ist nur ein symbolischer Ausdruck der Universaleigenschaft, die der geometrischen Zeichnung jeder Abbildung in jedem Topos entspricht – nicht nur in der Kategorie der Menge, wo das Auswahlaxiom gilt, wogegen eine Figur, die in so einer Zeichnung liegt, nur lokal von Figuren in der Domäne der Abbildung kommt. Natürliche Personen sind daher zwar immer aus anderen Personen zusammengesetzt, lebenden und toten, menschlichen, tierischen und göttlichen. Aber nur die W können diese Zusammensetzung lokal willkürlich / willentlich verändern.«
»Mömpf«, machte Torsten und wollte den Zettel gerade zurückstecken, als ein ungeheuer widerlicher Schauder machtvoll in ihn fuhr, als ob stinkendes, glitschiges Gel sich in der Luft um ihn aus einem Hauch verdickt hätte und ihm sehr schnell durch alle Poren in den Leib eindrang. Torsten zuckte, schwankte, dann stand er, wie gepeitscht, auf einmal kerzengerade. Er sah und hörte, dachte und spürte: Erdrosseln, Verstümmeln, Verkrebsen, Rippenentnahme, Amputation, Erstickung, Erwürgung, keine Luft, Stromschlag, gleich noch ein Stromschlag, Viren krabbeln überall, Infektion, fauliges Auseinanderfallen von Gliedern, Kopf und Eingeweiden, zerbröselnde Knochen, blasenwerfende Haut.
Endlich ein Schrei, der den gräßlichen Moment zerriß – er sah an sich hinunter, verstand erst nicht, was er erblickte, dann doch: Ja, richtig,
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