Für immer in Honig
Beziehungsirrlichter • Kellergerichtsbarkeit • Bungalowgespräch • Herrenabend
1 Zehn Minuten nach neun Uhr abends sah man am Himmel keine Sterne mehr; Leuchtbänder, Spots und Schweinwerfer regierten. Spät war’s noch nicht, aber Astrid hatte schon alle Plastikblumen beisammen, die es hier zu gewinnen gab. Astrid liebte Treffer: Das weiße Plastik spritzte weg wie Eis, in das man mit einer Spitze reingehackt hatte, blitzte weiß wie Knochen oder gefrorene Blütenblätter von Gänseblümchen. Sie liebte auch das Nachladen, das Gefühl des Kolbens gegen die Schulter, das samtige Material, auf dem sie den Ellenbogen aufstützte, die Konzentration und schließlich die Tatsache, daß das, was sie da tat, so schön zweckfrei war, Zerstörung um ihrer selbst willen, die niemandem was wegnahm. Den Ramsch wollte sie gar nicht haben.
Dieses Schießen, Gewinnen, Nachladen hatte seinen ganz eigenen zornigen Rhythmus, der sie an sich selbst erinnerte, daran, wie sie gewesen war, als sie den Ramsch noch hatte haben wollen. Als Abzeichen nämlich, als Beweis: Den Leuten in der kleinen Gang, mit der sie damals rumgerannt war, galt es zu zeigen, daß sie kein einziges Mal danebentraf, genausowenig wie beim Tennisballwerfen auf Dosen, beim Ringewerfen auf Kegelhälse. Haben hieß: Daß sie ihre Teddybären selber gewinnen konnte und dazu nicht auf Herrn Utzer d. Ä . angewiesen war, der zu dieser symbolischen Emanzipationshandlung gern nachsichtig gegrinst hatte, möglicherweise auch leicht stolz. Vermutlich fand er’s gut, so eine toughe und, wie es im Verfassungsschutzdeutsch immer so schön hieß: gewaltbereite Freundin zu haben. Spott hatte er trotzdem nicht immer unterdrücken können: »O.k., de Elefant hasch au no g’wonne, kömmer jetzt abhaue?«
Die Musik, von den Boxautos her, war ungeheuer laut, sie kam aus Amerika und der jüngeren Vergangenheit. Es ging bei dieser Musik mindestens zur Hälfte nicht um Worte, sondern um Macht des Basses und des Beats an sich, die zusammen mit einem palmölsanften Streicherwogen den Groove schufen, Zurschaustellung von Fülle, ein Stampfen, das hier alle Holzbuden schüttelte, Zuckerwatte an Holzstielen zittern ließ, und dazu sang Mary J. Blige:
Let’s get it crunk, we gon’ have fun
Up on in this, dance for me
We got ya open, now ya floatin’
und, kaiserlich, gleich noch einmal:
So you gots to dance for me
Die Töne, getragen par le tourbillon ihres inneren Reichtums, drehten sich strahlend, breit und schwer, rotierende Spiralgalaxis, ersetzten das Riesenrad, das sich der Chalde Märt nicht leisten konnte. Astrid lächelte bitter beim Gedenken an ihre Teddybärengewinne, an die schma len Lippen von Herrn Utzer, an die lächerlichen Ringe, die er immer getragen hatte. Ihre waren viel schwerer, jetzt, und ihre Knöchel weiß. Der Winter war gekommen, wenn auch noch ohne Schnee. Utzers seinerzeitiger Gehilfe Achim Behnke stand jetzt zu ihrer Rechten. Er aß genügsam eine Wurst mit Mayo nach der andern. Zwischen ihnen beiden hatte sich eine Art Jojo-Spiel entwickelt, auf der Gasse vor den Boxautos: Sie ging zum nächsten Schießstand, er immer wieder zurück zur selben Würstchenbude, die den besten Ruf auf dem Jahrmarkt hatte und zu einer Lörracher Metzgerei gehörte, dann lief er dahin, wo Astrid jeweils gerade stand und was beschoß.
»Aschtrid?« quengelte Behnke, und als die nicht reagierte, klagender: »Aschtrid! Aschtrid!«
»Ja, Herrgott. Was denn?« preßte sie heraus und lud derweil nach, schoß wieder, lud nach, schoß.
»Vielleicht isch’s emol Zitt, daß d’aufhörsch.«
Astrid zog einen schiefen Mund. Das war kein gutes Zeichen, wußte Behnke, und ahnte richtig, daß es sein distanzloser Dialekt war, was ihr auf den Zeiger ging. Er gab sich folglich Mühe und versuchte es auf hochdeutsch. »Wir haben … wir sollen die andern treffen, die Gina und den Andy, da wo der Asseltreff … war … wir sollen …«
»Patrouillieren, ich weiß. Perimetersicherung«, sie sagte das näselnd, äffte im Duktus den Dokter ganz gut nach, der ihnen allen, im ganzen vier Gruppen zu zwei Leuten, tatsächlich mit exakt diesen Worten diese Aufgabe zugewiesen hatte.
Der Jahrmarkt, Auszeit für den Alltag, war Aufmarschgebiet geworden, auf dem die ino ffizi elle Miliz Sorge tragen sollte, daß die alte Unordnung sich nicht noch einmal aus den Schatten und Ritzen traute – die Drogen, die Schwulen, das ganze Gesocks, das die Dokterjugend vertrieben hatte. Wer den
Weitere Kostenlose Bücher