Für immer in Honig
knallten wie Popcorn und schließlich ganz aufhörten.
Die Panzerdachluke wurde geöffnet. Soldaten umstellten die Einschußstelle. Ihr O ffizi er zeigte sich im Panzerausstieg, sein Gesicht war runzlig und lila wie eine alte Dattel. Der Wind schwoll weiter an, es rauschte, als stünde man zwischen Echofelsen nahe Niagara. Auf dem Rasen vor dem Haus, das gegenüber der Ruine stand, drehte sich eine Wäschespinne schnell wie ein orkangetriebenes Windrädchen; das war die Stelle, wo an Philips Ankunftstag die mürrische Matrone ihm verraten hatte, daß Frau Flasch nicht zuhause war. In den Fenstern sah man keine Menschen, sie lagen in den meisten Wohnungen jetzt auf dem Boden, kauerten in Badezimmern oder in Embryonalhaltung vor den Fernsehern, auf deren Schirmen man, während die Welt vor den Fenstern fortgeweht wurde, drastische Bilder sah, aus all den Städten, in denen überall das gleiche geschah.
Der O ffizi er öffnete seinen Mund, einen Befehl zu brüllen: Stürmen! vielleicht, oder: Ausputzen, marsch marsch!, oder: Auf zur Bergung!
Dann jedoch stürzten schlanke Stahlvögel in kleinen, schnellen Keilformationen aus dem Himmel, ausgespuckt von Windlaken, die rauschweiß rasten, schwarzgrau schäumten.
Der O ffizi er, Messer bis zu den Griffen in beiden Ohren, Blut in den Augen und im Mund, das Hirn in zwei Hälften gesäbelt, kippte und stürzte. Ein drittes Messer trennte ihm beim Abtauchen ins Innere des Panzers den Rückenriemen seines Pistolengurts auf und zischte als lebendiger Quecksilbertropfen dem Fahrer in den Adamsapfel, dann legte es sich quer und trennte den Fahrerkopf, ritsch, mühelos vom Hals.
Wie abgeschossene Trophäen in einer Ballerbude auf dem Kalten Markt fielen die Wehrmachtsmänner in Frau Flaschs Gärtchen auf den Salat, gegen den Zaun, auf den Rasen, den Gehweg. Glocken aller Türme läuteten weiter nördlich in der Stadt. Artilleriefeuer knatterte. Ferngeschosse pfiffen durch die Luft, Signalement der vielen Gefechte, der Aushebung letzter Verstecke örtlicher W, manchmal in schneller Folge, wie eine Double-Bass-Drum, dann als Türzuwerfen, dann wie ferner Meteoriteneinschlag.
Schöninchen stand neben der rotierenden Wäschespinne im Wind, ihre Haare lebten, wanden sich wie Medusas Schlangen. Ihre Stimme, rein und klar, ohne Zweifel oder Schuld, übertönte das Brausen: »Philip! Komm da raus!«
Der Wind ließ nach, die Wirbel zischten dann, lispelten: Wir wissen Zwischenräume zwischen den Rissen im Winter, wir wissen’s sicherlich, gewiß.
Philip, nackt und zerschunden, stieg aus dem Loch in der Wand. Er hielt sich die rechte Hand über die Augen, denn der Himmel wurde jetzt rasch schmerzhaft hell, blau wie im schönsten Sommer. Valerie kam langsam auf ihn zu. Er drehte den Kopf in ihre Richtung, stand zwischen zwei Gefallenen. Seine Lippen bebten, seine Hände waren geöffnet, als wollte er sagen: Ich habe nichts mehr. Kein Mittel, keine Waffe. Valeries Messer schwebten, drei Dutzend Stück. Sie standen auf Augenhöhe über der Wiese, wie Sumpfgasflämmchen, Spalier, kerzengerade, Habacht. Neues Sonnenlicht schnitt Feuerreflexe in die Klingen.
»Hallo Philip«, sagte Schöninchen traurig, denn sie hatte Mitleid mit ihm.
Hallo Rölfchen, sagte Philip, nicht mit dem Mund, nur mit der innern Stimme, denn er sah bloß, was ihm gefiel, und das war ich. Hilfst du mir, sie zu rächen?
»Wen?« fragte ich, und wußte es doch.
Meine Astrid. Meine Söhne. Meine Kinder. Mich.
Schöninchen schüttelte den Kopf: »Du willst nichts anderes mehr?«
»Nichts mehr. Ich wollte sterben. Jetzt bin ich sogar dazu zu … sauer und müde.« Er schien sich selbst darüber zu wundern, als er das sagte, mit dem Mund.
»Der Krieg hat angefangen, Philip. Die Toten werden nicht viele Orte halten können, nach ihren ersten blitzartigen Siegen. Nicht einmal viele Städte, aber die größten am einfachsten, denn da werden sie Geiseln nehmen, unter den Menschen, die wichtig sind, in dem System, das alle Menschen sich angetan haben. Wochenlang werden die ersten Schlachten andauern, und dann …«
»Wird daraus ein Stellungskrieg«, nickte Philip. »Ein Bürgerkrieg zwischen den Lebenden und den Toten. Willst du das erleben?«
Ich erwiderte: »Ich werd’s müssen, wenn ich nicht noch mal sterben will. Du hast alles falsch gemacht, Philip. Klar, ein bißchen was war auch gut – der Versuch, aus dem Treff was rauszuholen, den Leuten da einen Anfang zu ermöglichen. Aber du bist hergekommen, um zu
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