Für immer in Honig
sterben, und alle, die das nicht zulassen wollten, alle, die wollten, daß du lebst, hast du getötet. Das heißt, sie sind gestorben, durch deine Schuld. Frau Flasch. Astrid. Du hast kein Recht auf Rache.«
Er lachte, nicht nur im Kopf, auch wirklich, so daß Blut und Sabber von seiner Unterlippe tropften. Philip stand nicht sehr sicher da, schwankte, würde vielleicht bald fallen.
»Ich bin hier«, sagte ich, wie um ihn zu trösten. »Wir sind nah am Treffpunkt – weißt du noch?«
»Ja. Die Fahrradständer. Das Gymnasium. Aber es ist zu lange her. Wann werden wir frei sein?«
»Es ist lange her, das stimmt. Aber nicht zu spät. Wir können einander beim Erinnern helfen. Diese Welt hier … die muß nicht sein.«
»Woher weißt du, daß eine andere besser wäre?«
»Sie muß«, sagte nicht ich; das war Valerie Thiel.
Philip ließ sich nicht überzeugen: »Ich will nur den Bürgermeister. Er ist hierher unterwegs, ist dir das klar? Sein Panzerführer meldet sich nicht. Also kommt er her. Er will mich haben.«
»Und du ihn. Da haben sich zwei gefunden. Kannst du dir wirklich nichts Besseres vorstellen?«
»Was denn, deinen Scheißkrieg?«
»Haben wir uns nicht früher krummgelegt, um ihn zu erleben, um endlich zu kämpfen und zu gewinnen?«
Er lächelte und sah älter als alt aus. Verloren: »Ich nicht. Ich habe überhaupt nur den Arsch hochgekriegt, weil ich dachte, ich kann diesen Krieg verhindern.«
»Sie werden dich erwischen, Philip. Ich helfe dir nicht. Wir zwei sind zu schwach – nicht gegen ein Kommando, nicht gegen zwei, aber gegen die Divisionen, die hier aufgebaut wurden. Seit Monaten, vielleicht seit Jahren.«
»Also, was wirst du machen, Rölfchen?«
»Ich heiße Valerie. Valerie Thiel«, sagte ich.
»Ich weiß. Ein Schöninchen, wie’s in Onkel Rölfchens Märchenbuch steht.«
»Mehr als das. Viel mehr.«
»Merk’ ich allmählich. Also?«
»Ich gehe zum Treffpunkt. Mal schauen, wer da noch aufkreuzt. Dann hauen wir ab – live to fight another day und so. Taktischer Rückzug. Wenn der Feind wütet, halten wir still. Wenn er sich ausgetobt hat, greifen wir an.«
»O.k., dann bleibe ich hier.«
»Kann ich nicht zulassen, Philip. Du hast Nonkombattanten getötet, du hast dich versteckt, du hast alles verraten. Du kannst nur noch zurückkommen, auf unsere Seite, die deine Partei ist, oder ich muß dich aus dem Spiel nehmen. Ein verrücktgewordener W, der sich nur noch rächen will – den sich selbst zu überlassen, das ist, als würde ich eine Atombombe bei Ebay versteigern. Im Ernst, Philip, mach mich nicht blöder, als ich bin: Glaubst du, ich werde dich in deinem Zustand frei rumlaufen lassen, nackt, bescheuert und gefährlich? Weißt du, was du gemacht hast, mit dem Stecher deiner Frau?«
»Du glaubst, du weißt alles, ja, weil du weißt, woran ich mich erinnere und was ich denke? Der Mann, der meine Freundin gerade erschossen hat, war schlauer als du: Er wußte, daß man auch dann, wenn man den Willen einer anderen Person lesen kann, und alle ihre Erinnerungen, nie weiß, was sie wirklich tun wird.«
»Es macht mir gar nichts aus, zuzugeben, daß ich nicht weiß, was du tun wirst. Genau deshalb darf ich dich nicht zurücklassen. Es tut mir leid, aber wenn du niemandem mehr nützen möchtest, wirst du schaden. Ich kann das nicht erlauben.«
»Die Maßnahme«, lachte er leise, ich hatte ihm das Brecht-Stück damals geliehen, 1985, im schier endlosen Winter. Er lachte mich aus, das war das Verrückte, weil er wußte, daß er wahnsinnig war, und glaubte, daß nur ein Wahnsinniger wie er in einer wahnsinnig gewordenen Welt noch irgendwelche Rechte hatte.
»Glaubst du, du wärst stärker als ich, kaputt wie du bist?« fragte ich ihn.
»Ich beuge mich keiner Parteidisziplin, weil es keine Partei mehr gibt«, sagte er ruhig. Ich hörte den alten Panzer knirschen, als sich das Rohr in meine Richtung drehte. Philip hatte den kop flos en Fahrer übernommen, seine Hände steuerten das Geschütz und richteten es nach mir aus.
Heute weiß ich, daß das ein Scheinangriff war. Damals habe ich seinen Plan nicht begriffen, ich war ein dummes kleines Mädchen, ich wußte nichts von mir und ihm und diesem Krieg, und dachte doch, ich wüßte das alles.
Als das Messer ihm von hinten in den Schädel fuhr, mit 250 Kilometern pro Stunde, und ihn nach vorn warf, daß seine Füße eine braune Maulwurfs-Bremsspur in den Garten rissen, war ich erleichtert über meine Schnelligkeit, wie nur
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