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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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zombiemajorisierten Metropolen geworden war.
    Solanum wirkte nicht nur als Nervengift, sondern auch als – da war die Wendung wieder, wie so oft in Brooks’ Buch – »auf nach wie vor unerforschtem Weg« wirkendes Antidot gegen die neuen Seuchen, die vor allem Asien heimsuchten, Rotfeuer, Pseudo-Aktinie und so fort. Die Kollaborateurin hustete.
    Sie war zu lange weg gewesen, gestern abend, das nahm sie sich jetzt halbernst übel, war aber kaum zerknirscht. Na und, was haben sie uns denn sonst gelassen, außer den witzigen Kneipen mit den hübschen Namen, in denen kaum noch was anderes ausgeschenkt wird als Bier (die Rohstoffe des Alltags wie dieser waren Bestandteil des Solanum-Tauschgeschäfts), ja und außer den Auftritten von einheimischen Musikern dort, den Gesprächen über die Musik und über die Kneipen in den Kneipen, während die Musik vorn lief? Kein schöner Ausdruck eigentlich: Musik läuft. Klingt wie: Die Nase läuft, oder: Das Bier ist ausgelaufen.
    »Hallo Biene, hallo Giddi, hallo Lilli!«
    »Hallo Tommi, Didi, Jojo, Bibi und Bombi!«
    »Na?«
    »Na?«
    »Wie findest du die Band? Das ist Knipsi, der Bruder von Lurchi, dort vorn am Rechner.«
    »Na ja, nicht so gut. Mir gefällt das Projekt von Susi und Picki besser.«
    »Warst du schon im ›Es wird immer schlimmer‹? Soll fast so gut sein wie früher das ›Rumstehcafé‹ oder die ›Hinterbliebenenbegegnungsstätte‹. Sagt jedenfalls Hanni.«
    »Nein, ich geh nur noch ins ›Arbeitslos‹, und mittwochs ins ›Langweilig‹, da ist ab neun drei Stunden lang Happy Hour und Fini und Hibbi stehen da auch immer an der Theke – du weißt schon, Titti, die Exfreundin von Dodi, der jetzt mit Susi zusammen ist, die in der Band mit Fipsi, Mausi und Lulu spielt?«
    »Ach die! Die ist doch doof.«
    Es schneite draußen. Alter Schnee lag starr oder verhuscht zuckrig überall herum, Flocken fielen, Deckweißkleckse.
    Die Sonne würde es schwer haben, sich heute durchzukämpfen, durch die Not, die Sorgen, die ahnungsvoll todesbetäubte Normalität von allem hier unten, diese giftige Glocke der Gegenwart über Berlin an sich. So oft Judith abends auch ausging, das half ja nichts für den ­nächs­ten Tag.
    Die Kollaborateurin kam nicht mehr aus dem Karree hinaus, das die Zombies und ihre Handlanger kontrollierten – quer vom Alexanderplatz bis zum Bahnhof Zoo, vertikal von der Invalidenstraße bis hoch zum Halleschen Ufer. Handlanger: Gegenüber dem Hauseingang, aus dem Judith jetzt auf die Straße trat, stand ein fast schon ganz zugeschneiter Streifenwagen, innen matt erleuchtet. Zwei wahrscheinlich schlafende Menschen saßen drin, von der Wagenheizungsluft sicher schon ganz high. Von den Sicherheitskräften der alten Welt waren noch einige nicht zombisierte Divisionen übrig, die hatten sich nach einem halben Jahr chancenlosen Straßenkampfs für die Waffenbrüderschaft mit der Totenarmee entschieden, für Teilhabe am neuen Regiment.
    »Auf nach wie vor unerforschtem Weg.«
    Bier und was zu essen im Tausch für Solanum, statt Erschossen-, Angesteckt- oder Gefressenwerden: Das leuchtete auch Polizisten ein, nach Feierabend, wenn die Karriere-Entscheidungen fielen.
    Du hörst sie schmatzen
Und hohles Stöhnen
ich werd sie mit ner Ladung Blei verwöhnen
    An der Ecke zur Kopenhagenerstraße sah Judith auf dem seit Jahren geschlossenen Rollo der ehemaligen Kunstgalerie ein neues Fahndungsplakat kleben: wieder eine W.
    Das schwache orange Licht der Spar-Straßenlaterne reichte aus, das Gesicht der W zu betrachten: sehr schmal, bißchen männlich, viel zu gerade Haare für Judiths Geschmack, drunter: »W Amanda Hagin, Terroristin«, Meldetelefon und so fort, wie immer.
    Wissen: Es gibt nicht nur Zombiestädte, sondern auch Landstriche, die den W gehören. Warum aber gehen die nicht alle dahin, warum kämpfen sie in den Nekropolen gegen die Toten? W haben es doch leichter als wir Menschen mit dem Fliehen: Sind so viel schneller, stärker … was hält eine wie diese »Amanda« hier?
    Die Kollaborateurin schämte sich bei dem Gedanken, daß sie diese Gejagte irgendwie beneidete – und gleichzeitig hoffte, daß sie wenigstens im Widerstand organisiert war und nicht bloß irgend so ein armes Mädchen, das sich eben erst zum ersten Mal verwandelt hatte und kaum wußte, wie ihr geschah.
    Höchstens achtzehn. Hätte Robert gefallen.
    Sie setzte den Korb ab, zog sich die Mütze tiefer über die Ohren, fragte sich, ob die Streifenbullen hinten im Auto aufgewacht

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