Für immer in Honig
schwarze Cordjacke an, schon, aber: Was heißt hier eigentlich noch Armee?
Die Legionen, denen Berlin jetzt gehörte, waren anders als andere Armeen; brauchten im Grunde nichts zu essen – wenn sie auch aßen, aber das waren die schnappenden Kiefer selber, das war Reflex, wie die vorgesehenen Opfer hatten lernen müssen –, brauchten im Grunde keine Munition – wenn sie auch schossen: Sobald der Vorrat alle war, bissen und kratzten, schlugen und würgten sie aber, mit kaum geringerem Erfolg; brauchten gewiß kein Rotes Kreuz, keine medizinische Versorgung; kannten keine Probleme mit der Kampfmoral, keine Ermüdung; ihre Schlachten waren nie angewiesen auf Schlachtordnungen, auf Führung und Koordination; kannten keine Panik, keine Desertion, keinen Grabenschock, keine Insubordination oder Meuterei; waren eine Walze, oder vielleicht eine lebendig gewordene Toilettenverstopfung, die sich in Blutrunst, blubbernder Wut aus der Schüssel emporstülpte, die Welt mal richtig zu beschmutzen. Ach wenn wir in Stalingrad unsere Zombies dabeigehabt hätten …
You’re in the Ar…
Judith stellte das Radio ab und zog sich die Handschuhe an.
Die Uhr, die mit einem Saugnapf innen am vereisten Fenster haftete, verriet ihr, daß es höchste Zeit war: »Einkaufen«, sagte sie bitter. Sie wußte, daß sie sich, wenn sie ihre Besorgungen für den Tag erledigt hatte, würde beeilen müssen. Es währte übrigens ja schon viel länger, als die Bulletins der Notstandsverwalter damals versprochen hatten – drei Jahre, hatte die o ffizi elle Beruhigungspropaganda unterstellt, bis ein Zombie völlig verwest ist, vertrauen Sie dem Gesundheitsamt.
Das sollte heißen: Wir versuchen es mit einer Strategie der Eindämmung und warten, bis der Feind verfault. Wenn es uns gelingt, die zombisierten Zonen auf die Innenstadt zu beschränken, ist nach zwei Dutzend Monaten das Schlimmste ausgestanden. Nur hatte das Gesundheitsamt nicht die geringste Ahnung, von nichts, was diese Leichenarmee betraf: Physiologie? Stoffwechsel? Den gab es da zum Beispiel strenggenommen gar nicht. Sie aßen zwar, das hatte Judith beim Arbeiten für sie gelernt, aber sie verdauten nicht. Eine Weile hörte man Ratereien dazu: Sie brauchen eben das Nervengewebe, sie essen gern Hirn. Dann hatte der Widerstand, der von außen, oben, vor allem von überregionalen Kabalen der W und dem verdeckt in der Stadt weiteroperierenden Arm der NATO -West, Nachschub erhielt, ein paar Exemplare gefangen und obduziert.
Mit wenig ermutigenden Ergebnissen: Im Verdauungstrakt schwammen die gefressenen Ohren und Nasen unangetastet herum, zersetzten sich bakteriell, es gab keine körpereigenen Säuren. Der Bauch eines solchen Fressers wölbte sich also allmählich, manchmal fand auch noch Peristaltik statt und drückte den ganzen Segen, mehr oder weniger verfault, zum Anus wieder raus. Insgesamt jedoch war die Art, wie diese Wesen mit dem innerlich verfuhren, was sie verzehrt hatten, einfach ein Rätsel – Judith, die ihnen ihre Brühe ausschenkte, auf der Tempelbaustelle, und sah, was darin für Nährwert galt, wollte so genau gar nicht wissen, wie das alles funktionierte.
Was hätte es übrigens genützt, darüber orientiert zu sein?
Gut, wenn man ein verläßliches Verfallsdatum hätte ermitteln können, und davon ableiten, wie lange die Kollaboration auf Zeit mit diesen Wesen würde dauern müssen, das wäre natürlich doch nützlich gewesen. Aber das Fleisch auf den Knochen dieser bösen Soldaten gab auch unterm Mikroskop keines seiner Geheimnisse preis; es war wohl gar kein Fleisch, sondern so etwas wie die geronnene Angst der Lebenden vor der Vergangenheit, verdicktes Gerücht, koagulierter Zorn der Hölle.
War wahrscheinlich sogar irgendwie besonders gesund, dachte die Kollaborateurin hungrig, sich zu ernähren wie die: ohne Verdauung. Paßte jedenfalls in die Reihe der Ernährungsmoden, die schon vor der Katastrophe aufgekommen waren: Atkins – wir verzichten auf alles außer Fleisch; Sojamilchdiät – wir verzichten auf Kalzium; Vegetarisch – wir verzichten auf alles außer Hasenfutter; Vegan – wir verzichten auf alles außer unsere moralisch überlegene Leblosigkeit und intellektuelle Anämie.
Robert hatte das immer bloß lustig gefunden, wenn sie sich und ihn mal gefragt hatte, ob irgendeine dieser Moden nicht vielleicht wirklich gesund war: »Ja, und Akupunktur, und Naturheilverfahren, Hauptsache, die Beherrschten sind nicht mehr so teuer. Am besten wir
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