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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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ernähren uns von Oblaten und wenden, wenn wir krank sind, das beste aller natürlichen Heilverfahren an, aus dem ersten Mittelalter, Modell fürs jetzige zweite: Beten.«
    2  Judith Neumann setzte sich ihre grobwollene Mütze auf, nahm ihren Korb vom Bord und roch die schwarzen Flocken in der Dunkelheit. Dann verließ sie die Wohnung, schloß die Tür zweimal ab und ging vorsichtig, aufs Geländer gestützt, die morschen Treppenhausstufen in fast völliger Finsternis abwärts. Hinter einer Tür im zweiten Stock rumorte es, ein Schaben, ein unterdrücktes Knarren, dann eine Stimme, heiser und trocken: »Ssss… Sorcière … sss … quelle enfantillage!« Das mochte aus einem Radio kommen, wie vorhin bei ihr oben, vielleicht war’s auch ein Hörbuch, oder ein Video – sie blieb kurz stehen, wollte von denen, die sie da hörte, selber möglichst nicht gehört werden, und gruselte sich ein bißchen wegen einer anderen, ganz klar körperlich präsenten, keinesfalls aus einem Apparat stammenden Stimme: »… ihr habt es leicht, ihr tanzt den echten. Sepoys im zerstörten Fort, ich meine Sepoys an den Toren und drinnen Ausgelassenheit. Der grüne Hut, der zerquetsch­te Hut, keine Zukunft.«
    Judith hielt das Holzgeländer fest mit ihrer Rechten, den Korb noch fester mit der Linken.
    Nach einem halben Dutzend banger Atemzüge und keinem weiteren Wort setzte sie den Abstieg durchs Treppenhaus fort und lächelte sehr unzufrieden beim Denken: Was für lächerliche Warnungen sie uns damals haben zukommen lassen, als es anfing. Diese Faltblätter, wie man überlebt, und dann das rasch hergestellte, zu einem Drittel der Aufl age komplett verdruckte und verschmierte Büchlein von diesem amerikanischen Experten, Max Brooks: »The Zombie Survival Guide. Wie man die weltweite Krise überlebt« (im Originaluntertitel noch unbescheidener: »Complete Protection from the Living Dead«), herausgegeben vom »Polizeipräsidenten zu Berlin«, dufte.
    Jede Menge nutzloser Trivia, die Robert sicher das Gefühl vermittelt hätten, mal wieder prima aufgeklärt zwar nicht über (oben, draußen), aber doch hellwach mitten in den Dingen zu stehen, wäre er da noch in der Stadt gewesen. Wie, wäre? War er’s nicht?
    Sie hatte nie mehr von ihm gehört. Vielleicht war er ja doch in der ersten Angriffswelle umgekommen … oder schwankte irgendwo da draußen rum, als Infizierter … greuliche Idee.
    Jetzt wurde sie, im Weitergehen, natürlich den Gedanken an Brooks’ blöden anmaßenden Leitfaden nicht mehr los, und glaubte wieder einmal, der leicht metallhaltige Staubgeruch in dieser scheußlichen Baracke wäre mit dem Zombiegift angereichert, durch feine Düsen oder Drüsen in den Mauern: Solanum, so hieß das, hatte Brooks den Unwissenden verraten – wie das Nachtschattengewächs. Es ist in den Wänden, es schwebt in der Luft, im Dunkel. Ich habe nie hierherziehen wollen, die Wohnung fand ich schon bei der Besichtigung suspekt. Er war damals nicht da, noch in Frankfurt, hat mich alles alleine machen lassen, von wegen: Du wohnst doch schon in Berlin, da kannst du uns doch eine schöne Wohnung ausgucken. Habe ich dann gemacht, auch so eine übereilte Entscheidung, die ich bloß getroffen habe, weil ihm alles Irdische immer nur gleichgültig war. Schnell gefällt, um sie später dann auch richtig schön alleine zu bereuen. Ihn kratzte gar nichts, was außerhalb seines Kopfes los war. In dem saß nämlich auch die wahre Valerie, das echte Mädchen war ihm sicherlich egal. Die hat er, dachte Judith sauer und betrat den Innenhof, schritt den kurzen Weg an den Müllcontainern vorbei, wahrscheinlich nicht besser behandelt als mich. Alles nur ausgedacht. Ein Witz.
    Die Container waren jetzt meistens leer, früher immer voll.
    Wie oft wurden die eigentlich geleert? Müll, Gift: Wozu in Container packen, wenn es in den Wänden wohnt?
    Der Begriff »Solanum« fürs Zombiegift, war bei Brooks breit ausgeführt, stammte ursprünglich von einem Mediziner namens Jan Vanderhaven, der den Übertragungsvektor des Zombismus untersucht hatte und schließlich zu der Überzeugung gelangt war, Solanum sei wohl doch kein eigentlicher Virus, sondern eine Art subzellularer Pseudo-Organismus, der bestimmte Zellen im auf nach wie vor unerforschtem Weg reanimierten Menschen dazu brachte, ein Tetrodotoxinanaloges, synthetisches Pharmakon zu produzieren, das absurderweise seit der Verwandlung der Katastrophe in einen neuen Alltag die Grundlage des Außenhandels aller

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