Für immer in Honig
entschuldigte sich, grüßte ergeben. Reuland winkte ab, der Adjutant rückte ihm zu nahe, wollte ihn stützen. Reuland grunzte.
Denkt der Junge, ich wäre wirklich betrunken? Ärgerlich räusperte sich der Oberbefehlshaber, schritt etwas gerader als zuvor die Fahrzeugkolonne ab und sagte, jedes Wort besonders knackig im Mund zerbeißend: »Wohin geht das eigentlich genau mit diesen Burschen?«
»Verschiedene Standorte sind nach der zweiten Vereinbarung unter Berücksichtigung augenblicklicher Frontstände …«, warf der Junge die Gebetsmühle an. Reuland hörte nicht richtig hin, verstand deshalb nur »Petropawlowsk-Kamtschatski«, »Baikal-Amur« und »Westsibirien-Entsatz« – dies letztere kommentierte er markig mit: »Gast von Urengoi, richtig. Wir müssen unsere Ressourcen schützen, wenn Putin das allein nicht kann.«
Der Junge nickte, ratterte weiter: »Eigentlich eine Art Wüsteneinsatz, die Amerikaner kennen das schon, auch wenn es eine Eiswüste ist …«
Der Junge hatte keine Ahnung.
Die Sache mit den Russen, das war nicht einfach eine Vertragsverpflichtung, die Reuland im Namen der reorganisierten NATO -West eingegangen war – NATO -West ist gut, was haben wir denn noch östlich der Oder, außer ein bißchen Polen, so drecksarm, daß sie nicht mal genug Zombies anlocken, um mehr als eine einzige blöde Stadt, das dumme katholische Krakau, befreien zu müssen. Rußland war Schicksalsgegend, dort mußte das Öl herkommen für Reulands Post-Zombie-Neu-Europa, für die große Vision, die er mit amerikanischer Hilfe, aber nicht unterm amerikanischen Daumen erreichen wollte – sollten die Amis den arabischen Raum kassieren, Israel würde bald wieder auf den Beinen sein und dabei helfen, viel Spaß mit den Saudis und was sonst noch eigene Ansprüche hat. Er aber wollte die kaspischen Reserven, und er würde besser, strenger, militärischer damit wirtschaften, als die alte Petro-Ökonomie das je getan hatte. Wie Putin diesen Aspekt der Sache sah, war ihm egal – der hatte sich eh schon viel zu lange gehalten, fast der einzige Staatsmann der alten Welt, der noch am Ruder war. Reuland zog seinen Mantel enger um sich und wälzte seine unheimliche Lieblingsstelle bei Carl Schmitt durchs Hirn: »Wir in Mitteleuropa leben sous l’œil des Russes. Seit einem Jahrhundert hat ihr psychologischer Blick unsere großen Worte und unsere Institutionen durchschaut, ihre Vitalität ist stark genug, sich unserer Erkenntnisse und Technik als Waffen zu bemächtigen, ihr Mut zum Rationalismus und zum Gegenteil, ihre Kraft zur Orthodoxie im Guten und im Bösen sind überwältigend.«
Vitalität? Ihre Untoten waren auch nicht schlecht.
Und ihre W wenig mehr als Tiere, jedenfalls nach dem zu urteilen, was Reuland wußte, und zwar aus erster Hand. Die »Verbindung von Sozialismus und Slawentum«, die Schmitt noch Kopfzerbrechen bereitet hatte, war abgetan. Aber das Auge der Russen schaute immer noch auf alles, was »wir« unternahmen, wie Saurons Auge im »Herrn der Ringe«. Reuland war dort gewesen, vor vier Monaten erst – Urengoi, umgeben von Tundra, unzählige Lärchen, wie kleine schwarze Sta chelschwein-Nadeln, dazwischen Scharen, wahre Armeen von Toten, alle aus dem Süden kommend. »Weltkriegswiedergänger«, hatte der russische Geheimdienstmann erklärt, »die Armeen des großen vaterländischen Krieges auf dem Vormarsch gegen unsere eigene Erdölstadt.«
Violettes Abendlicht, Magenta und Indigo an den Rändern, und Reulands großer Fehler, nach der Bedeutung des Ortsnamens zu fragen, als sie aus dem Hubschrauber auf die langsam vorrückenden dunklen Heere mit den weiß leuchtenden Schädel- und Brustkorbknochen hinuntersahen: »Urengoi, das ist nenzisch, die Sprache der Nenzen, die hier im Tjumengebiet ihre Heimat hatten – es bedeutet ›verdammter Ort‹.«
Das Wahnsinnige an diesem Krieg, soweit er auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion stattfand, war wohl, daß er einerseits ein Lehrbuchbeispiel für einen Konflikt um den Zugang zu einem klar definierten Gut, einem echten faßbaren Reichtum darstellte – es ging meistens gegen Ölstädte, gegen Häfen, Pipelines, viel seltener als im Westen gegen Städte, und wenn doch mal eine Metropole überrannt war, ließ sie sich relativ mühelos zurückerobern. Die Toten wichen sofort aus ihren Stellungen, wenn die Lebenden ihren Anspruch auf urbane Zonen mit Nachdruck und Waffengewalt artikulierten – und andererseits das, was der Gegner mit diesen
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