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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Welt.

Sechshundertdreiundvierzigster Tag
    Geträumt. Blut am Kinn der schönen Frau.

Sechshundertachtundvierzigster Tag
    Sand aus großer Höhe.
    Ein ferner Sturm? Eine Bombe?
    Fallout?

Sechshundertfünfzigster Tag
    Heute aus Versehen hinter dem Zelt die deutsche Frau beim Pinkeln beobachtet. Sie hat einen schönen weißen Hintern. Hat mich nicht bemerkt, seltsame Szene, sehr friedlich, und warum soll man eigentlich immer dieses Plastikklo benutzen, wenn man sich wirklich auch einfach in der Hocke überm Grasbüschel erleichtern kann?
    Skriba, wenn Sie das lesen: Ist das recht so, daß ich auch wirklich alles aufzeichne, was mir begegnet? Sie hatten mich ja ermahnt, mehrfach. Wie bei der Psychoanalyse: die Grundregel. Ich dachte jedenfalls, auf dem Weg zurück ins Zelt, daß das, weil sie nichts mitgekriegt hat, eine ganz unschuldige Sache war, nicht dreckig, im Gegenteil: Ist doch schön, wenn sie mir gefällt. Da regen sich Sachen. Wir sind also noch nicht völlig lagergeschädigt, das Leben ist noch nicht auf Essen, Schlafen, Internetsurfen und Exkursionen reduziert.
    Idee: Vielleicht mal ein Gedicht schreiben, in dem der Ausdruck »militärische Lösung« vorkommt, und zwar unironisch, ganz lauter, glatt positiv gemeint.

Sechshundertzweiundfünfzigster Tag
    »Deine Beobachtungen sind dir unklar, weil du dir selber unklar bist. Du gehst den Weg deines Freundes Philip, der hat sich auch an Details verloren, damit es nur ja nicht wehtut.«
    Skribas Gesicht hängt dicht über meinem, oben im Eckchen Himmel, eine Stablampe leuchtet mir auf die Brust, ich habe schlecht geschlafen: so wie immer hier, nämlich zwei Stunden wälzen, kurz abtauchen, aufwachen, auf die Uhr an meinem Handgelenk schauen, kapieren, daß zweieinhalb Stunden rum sind seit dem letzten Blick aufs Zifferblatt, wieder wälzen, wieder wegdriften, wieder aufschrecken, Zifferblatt, wälz wälz, Käuzchenschrei, Schuß, irgendwo ächzen welche, wahrscheinlich ficken sie, wieder abtauchen …
    »Hä?« mäkle ich, so feindselig ich kann.
    Laß mich doch schlafen, oder wenigstens Schlaf vorschützen. Es ist der Schwarze, der die Stablampe hält, schräg gekippt in der Faust, wie sie das hier immer machen, die Soldaten: Hab’ sie nachts auf Patrouille beobachtet.
    »Es ist fünf Uhr morgens. Du stehst jetzt auf. Deine Ausbildung fängt an. Sechs Jahre Schonzeit sind genug.«
    »Wa…« Der Schwarze zieht mich mit einem Griff unterm Arm, mühelos, als wäre ich eine mit Reiskörnern ausgestopfte Puppe, aus dem Schlafsack, aus dem Schlaf. Als ich stehe, boxt er mir vor die Brust – nicht so heftig, daß ich zusammenklappe, aber doll genug, daß der Brustkorb widerbebt, gegen die Tischkante gehauene Stimmgabel, danke.
    Sing, Knochenmann, sing.
    Ich huste, meine Knie sind wacklig. Der Schwarze sagt: »Ich bin Jim Corbett, und ich spreche deutsch.« Skriba steht daneben, schüttelt betrübt den Kopf. »Du hast ihn sogar mehrmals deutsch sprechen hören, Robert. Aber in deinem … Tagebuch hast du ihn als einsilbigen G.I. porträtiert. Kannst dir nicht mal seinen Namen merken: Jerry oder John. Er heißt Jim. Und wenn man das so liest«, seine Hand flapst in Richtung Tisch, wo der Laptop steht, »möchte man meinen, er wäre irgendein Schütze Arsch, der außer Jeeps steuern, Wache schieben und Flugzeug fliegen nichts beiträgt. Dabei war er Neurochirurg, bevor er Geheimdienstmann wurde – erst für die CIA , dann für mich und die CIA , dann nur noch für mich. Die ›deutsche Mutter‹ ist Karin Lay, seine Frau. Und die beiden Kinder, mit denen du sie hier siehst, sind beide nicht identisch mit dem Mädchen, das sie auf dem Knie geschaukelt hat, als ich dich … wie hast du’s ausgedrückt? Ins Land gebracht hatte. Kein Junge. Ein Mädchen. Falsche Erinnerungen. Deckbilder. Ihr erstes Kind war ein Mädchen.«
    »Wir mußten sie hergeben«, sagt Jim Corbett und schubst mich, einmal, zweimal, dann raus aus dem Zelt. Die Sonne läuft aus, jemand hat sie angestochen: Dort überm Bergkamm steht sie, zu drei Vierteln aufgegangen, rechts und links blutet sie Lava und kandiert damit die Berge.
    Corbett schaut Skriba an, der zwinkert. Corbett trabt los, sehr langsam, ich stehe da wie vom Esel gevögelt. Skriba sagt: »Lauf ihm nach. Hol ihn ein. Wenn du ihn eingeholt hast, bekommst du ein Frühstück. Wenn nicht, nicht.«
    So fange ich an, wieder zu leben: mit unsanftem Wecken, ein bißchen Literaturkritik an meinem armen Tagebuch, zwei superexakten

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