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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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transparent-wolkiger Menschen gehörte, die man in älteren Zeiten für »Gespenster« gehalten hatte, konnte sie Teile dieses warmen, gelenkigen Körpers außerdem in kokosnußmilchig schimmerndes Ektoplasma verwandeln und griff deshalb mit ihrer rechten Hand beim Vögeln plötzlich in seine Brust. Da wurde ihm dort drinnen kühl und salzig, zu hell und kristallen zumute; ein lustvoller Kontrast zur Hitze in seinen Lenden, zum Pochen des Blutes im Schwanz, im Hals und da, wo die Schläfen leise elektrisch summten.
    Sie ritt rhythmisch und völlig beherrscht, wippte gleichmäßig auf und ab in langsam schwingender Bewegung, fast quälend genießerisch, ach die ausgestreckte greifende Hand, ach das Glitzern auf den Wimpern, und schaute ihn an, der aus dem Fenster auf die Docks und die brennende Stadt sah, statt ihr ins Gesicht. Seine Augen schimmerten glasig, er nahm nicht wahr, was sich im Raum um ihn bewegte. So setzten seine Zirkulation, sein Atem, seine Libido, alles, was er war, sämtliche Funktionen von Leib und Seele, schlagartig aus, als eine Kugel dem Mädchen Sinja den Hinterkopf abriß und die Sterbende mit leisem Würgelaut einen Schwall Blut in sein Gesicht erbrach. Sorglich, freundlich, rettend zog sie ihre sich verfestigende Hand gerade noch rechtzeitig, im Fallen, aus seiner Brust. Eine gefrierbrandartige Fleischwunde blieb zurück. Die Tote rutschte vom Lebenden ab, als wäre sie bloß sehr müde anstatt grad gestorben. Zwei Zombies mit fast völlig weggebrannten Gesichtern, in dreckigen Uniformen der Fremdenlegion, standen vor dem deutschen Jungen mit der auf die Knöchel heruntergelassenen Hose und dem lächerlicherweise immer noch steifen Schwanz. Ach das arme Organ, der dumme gesegnete Sitz der Sturheit und langsamen Auffassungsgabe – ein echter Held, zu nichts nütze.
    »Das war’s also jetzt«, sagte Andy zu den Marodeuren von jenseits des Grabes. Die steckten ihre Waffen weg und näherten sich ihm schlurfend, grinsend.
    Richtig, er wußte das doch, wieso war’s ihm entfallen: W wie die Erschossene rührten sie nicht an. Aber Menschen verspeisten sie gern lebendig, brachten sie, wenn möglich, mit Händen und Zähnen vom Leben zu Tode, nur ungern mit Waffen. Irgendein dumpfer instinkthafter Stolz war da im Spiel.
    »Mrröhhmmm«, machte der eine Zombie.
    »Rhhaarrhhh«, machte der zweite.
    Hier also sollte die Straße zuende sein: Seit Astrid Riedler und des Dokters Trupp ihn und Philip Klatt auf dem Platz vor dem Treff vermöbelt hatten, war Andy immer nur auf der Flucht gewesen, hatte ­Flucht­autos gefahren, Fluchtpapiere gefälscht, Fluchtanweisungen von Cordula Späth entgegengenommen, für Valerie und andere Black-Op-W Fluchtwege gesichert und war seit der ganz unübersichtlichen Scheiße in Frau Flaschs verwüstetem Wohnzimmer doch bei allem Gefliehe nie mehr direkt in eine jener Kampfsituationen geraten, auf die er sich mit Schieß- und Kickboxübungen unter Anleitung von Dr. Rock und Frau Musikantin Späth seit drei Jahren andauernd vorbereitete.
    »Das ist doch wirklich das Letzte«, sagte er zu den beiden gurgelnden Gestalten, »es ist vorbei. Ich bin am Arsch.«
    Die schwankenden Leichen, die alles nicht tödlich Wichtige lange vergessen hatten, blieben stehen. Warum redete der so ruhig, warum schrie er nicht? Andy hörte aber auf zu reden. Andy hörte nämlich auf zu fliehen. Statt dessen griff er unter den Stuhl, auf dem er saß. Dort suchte seine Hand, offen wie die von Sinja eben noch, nach dem Gewehr, das Valerie ihm dagelassen hatte. Er fand es. Er zog es raus, er riß es hoch. Er hielt sie fest und schoß dem linken Toten den rechten Arm ab. Dann dem rechten den Kopf von den Schultern. Dann dem linken eine Kugel in die Leistengegend.
    Sich nach hinten fallen lassend, trat er die zerstörten Leiber mit beiden Füßen von sich weg, noch immer von der Hose behindert. Sie fielen um wie Kegel. Andy war also plötzlich Soldat geworden, in der zerstreutesten Armee, die der Geschichtsschreibung vorgekommen ist, im letzten Widerstand, auch gegen die Geschichte selber, endlich. Er schrie noch ein bißchen, das war dringend nachzuholen. Als er genug geschrien hatte, kreischte er sogar, wie das Mädchen Sinja vielleicht hätte kreischen können. Sie war schneller gestorben, als man Luft aus der Lunge in Richtung Stimmbänder pumpen kann. Endlich schwang Andy sich nach vorne.
    Er stand im Rauch. Blut und puddingartiger Glibber klebte an der Innenseite des Fensters.
    Trotzdem sah er

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