Für immer in Honig
Besitzenden hin.
Nach der Verhextenseite ereignet sich eine ewige Aufsplitterung, endlose Spalterei: Arbeitsteilung hieß bald, daß man immer spezielleres Anhängsel der Maschinen wurde, die Fertigkeiten aber zugleich nur immer kürzer ein Auskommen garantierten – man wurde, so als einzelner Verhexter, allmählich was objektiv ganz Besonderes, aber subjektiv total Unbedeutendes. Von der Dampfkraft bis zum Call-Center ist die Geschichte des modernen Verhexten die Geschichte seiner Aufl ösung, die Leute können bald nicht mehr guten Gewissens »ich« sagen, wie ein miesepetriger Philosoph immerhin noch beanstandet hat, als es fast schon wirklich soweit war. Seine unmittelbaren Nachfolger, die sich genau wie er für unangepaßt und widersetzlich hielten, fanden das dann schon toll: Der Druck läßt nach, das Ich fällt auseinander, wollen wir’s nicht Freiheit nennen? Kann man machen, nur daß natürlich die Freiheit von sich selbst auch schon den ganz klassischen Unterdrückten ge währt wurde, nämlich seitens ihrer Unterdrücker. Du mußt doch nicht machen, was du willst, armes Hascherl, mach doch einfach, was ich will, oder stirb. Damals hieß das, wenn man dagegen war, Fremdbestimmung . Als aber das Selbst (»der [freie ›…bürgerliche‹] Mensch«) aus dem Fenster flog, war die Idee der Selbstbestimmung ihm schon vorausgesegelt. (…)
5 Abgesehen von den Philosophen, Technobeamten und Ideologen der Politik und Verwaltung hatten auch richtige Wissenschaftler Anteil am neuesten Fortschritt, der in der Abschaffung des Ichs der Verhexten bestand. Die richtigen Wissenschaftler haben eh immer Anteil am Fortschritt, selbst wenn’s der Fortschritt des Kriegshandwerks oder sonst einer Verwüstung ist. Als also das Ich verschwand, und das Empfinden, daß man jemand sei, lebte bei den richtigen Wissenschaftlern ein ganz altes, ursprünglich vernünftiges Reden wieder auf: Das Ich ist doch sowieso bloß was Funktionales, Abgeleitetes, ein Epiphänomen von Hirn- und anderen biologisch-physikalisch-chemischen Prozessen. (…)
Je mehr die Individualität als soziale Tatsache, als »freier Wille«, der sein eigenes Glück machen kann, verschwand, desto modischer wurde ein neo-neo-positivistisches Gerede über das Hirn, das Gen, die Synapse, den IQ : die vom anonymen, aber nicht richtungslosen Prozeß der furchtbaren Fäulnis erzwungene Versachlichung des verschwindenden Menschen.
Diesem ging’s also im wolkigen Reich der Ideen von zwei Seiten an den Kragen: Philosophen kritisierten das Subjekt als »phallogozentrische soziale Konstruktion«, positivistische Life-Science-Technokraten erklärten es naturalistisch weg. Wo Ich war, wurde Es, das dezentrierte, aber objektiv-neurosophische Je-ne-sais-quoi der großen postmodern-posthistorischen Postsoße.
Der Weltgeist war besoffen. Die Helden der bürgerlichen Phantasie, also der Phantasie einer Klasse, die auf Leute setzte, die mit ihren eigenen Dampfmaschinenideen in der Welt vorankommen konnten, starben aus – wer heute, nach dem Auftakt der Totentanzerei, die Romane von F. Scott Fitzgerald liest, wer sich vorstellt, was für Patienten zu Sigmund Freud kamen, um sich das Ich reparieren zu lassen, wer an die Brüder Goncourt denkt oder an Walter Benjamins Flaneur, wer das lyrische Ich bei Hofmannsthal, bei T. S. Eliot oder in Ezra Pounds » Mauberley «-Gedichten untersucht, muß sich wundern: Wo kamen diese Menschen her, wo sind sie hin? So jemand zu sein – das konnte sich fünfzig Jahre und einige ordentlich aufwendige Kriege später keiner mehr leisten. (…)
Im ersten finsteren Mittelalter führte eine ganz ähnlich starre, verkaufte und verschenkte Situation – Stichworte: Leibeigenschaft und Ständewesen – dazu, daß sich die gescheitesten Leute komplizierte Fragen über die Erlösung vorlegten: Hat man sich das von der Religion versprochene In-den-Himmel-Kommen eher als Lohn für gute Taten oder eher als zufällig unergründliche Gnade vorzustellen? Dieses Gegrübel war die verkleidete – also: die erlaubte – Version des Nachdenkens darüber, warum eigentlich so viele Leute so wenigen andern Leuten gehörten. Als intelligenter Mensch mit etwas Muße mußte man das ja übel eingerichtet finden und roch wohl auch, daß die Menschheit als Ganze produktiver sein könnte als unterm Bann der gerade zufällig zustande gekommenen Hexerei.
Dafür, dann doch irgendeinen Sinn aus ihr herauszuklauben, bezahlt die verhexte Welt ihre Denker: Der Zufall
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