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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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und wenn man sich die Geographie anguckt, und das Recht auf Gebiete in angrenzenden Gewässern …
    F: Dann gehört das Öl den Schotten.
    J: Ohne schottisches Öl, sagt Deffeyes, wäre England wirtschaftlich ein Staat der Dritten Welt.
    F: Was schließt du aus alledem?
    J: Was die alte Parteilinie vorhergesagt hat, für den Fall, daß der Imperialismus nicht von innen gesprengt und beseitigt wird. Daß scheußliche Zeiten kommen.

DREIUNDDREISSIGSTES KAPITEL
    Restavek • Krankheiten, auch auf der glücklichen Insel • Gute Nachrichten • Wie ist Willensschwäche möglich?
    1  Die Kinder waren fleißig wie die Bienchen eines prosperierenden Stocks, nur nicht so zahlreich. Es gab überhaupt wenig einheimisches Leben auf der Insel, bevor Toussaint wiederkam. Aber die Kinder machten das durch Lebhaftigkeit, Fleiß und Niedlichkeit wett, und so gelang es den Aufsehern mühelos, die Neusiedler davon zu überzeugen, daß die Kinderarbeit, die hier stattfand, nicht grausam war, kein bißchen böse. Schwer zwar, aber zulässig, eine andere Kultur eben. Sie trugen zu dritt schwere Dachbalken, sie kümmerten sich um die Elektrizität, krochen zwischen den halbfertigen Wänden rum, verlegten Leitungen. Jacques äußerte immer wieder entschiedenes Lob über diese Kinder, die bei tropischen Temperaturen solche Arbeiten verrichteten, manch triftige, melancholische Betrachtung fiel ihm ein dazu: »Die Kindheit ist, wie man richtig gelehrt haben wird, eine Erfindung des achtzehnten Jahrhunderts, die auf dieser Insel indes nie angekommen ist, weil sie nie ein achtzehntes Jahrhundert gehabt haben wird. Wurde. Hat. Hchhch.«
    Die Grammatik dieser postmortalen Ära war recht heikel, Jacques wurde ihr am liebsten dadurch gerecht, daß er sich am Ende derartigen Geredes ordentlich räusperte.
    Die weniger Gebildeten unter den Neusiedlern wunderten sich dennoch lange, daß die meisten der Arbeiten an ihren Häusern von Kin dern erledigt wurden. »Restavek«, erklärte schließlich einer der er wachsenen schwarzen Bauleiter, »ces enfants – diese Kinder arbeiten, weil sie den Familien gehören. Sie haben keine Eltern, die armen Familien nehmen sie auf – dafür arbeiten sie.«
    Manchmal sangen die Kinder beim Arbeiten. In kleinen, wohlorganisierten Verbänden, die besonders Regelmäßiges zu tun hatten, etwa immer dieselben Röhren auf immer dieselben Träger ablegen, immer dieselben Rahmen in immer dieselben Fenster einsetzen, war das ar beitsförderlich. Der Gesang gefiel den Neusiedlern, weil er fröhlich war und kanonartig, weil er wogte wie die Brandung, weil er die Moskitos zum Tanzen brachte und damit vom Stechen abhielt:
    Eh! Eh! Bomba! Heu! Heu!
Canga, bafio té!
Canga, mouné de lé!
Canga, do ki la!
Canga, li!
    lautete eins der Restavek-Lieder, das sie am liebsten mittags sangen. Ein anderes, mit weniger hellen Ausrufen drin, hörte man eher abends oder am frühen Morgen:
    Grenadier à laso
Sa ki mouri zafé à yo
Nan pouin maman
Nan pouin pitit
Sa ki mouri zafé à yo
    Nachts sangen die Kinder nicht. Dafür hörte man dann Trommeln, ohne daß die Neusiedler jemals irgendwelche dazugehörigen Trommler gesehen hätten. Es wurde vermutet, daß es die Hände der Aufseher, der älteren Söhne und Väter der armen Familien, der »Besitzer« der Kinder waren, die da trommelten – lebhaften Contredanse, Jubatrommeln, hämmernde Africanadou-Rhythmen, irres Kongo-Geklopfe, bei dem die Vögel nervös und die Hunde aggressiv wurden.
    Kein Neusiedler wußte das, aber diese Trommeln kündigten Toussaints Rückkehr an, die Wiedergeburt eines Revolutionärs. Sie klangen wie der Muskel, der das Blut durch den Menschenleib treibt, aber sie waren kein Teil der bei den Reichen und Beschützten so beliebten kreislaufanregenden Maßnahme des Schwärmens, kein Zeichen jener »revolutionären Nekrophilie«, die Paul Foot vor dem Totentanz bestimmt hatte als »die Neigung aller Zeiten, Revolutionäre zu feiern, solange sie nur tot sind, und je toter, desto besser«.
    Das Trommeln sollte allerdings auch nicht die Menschen wecken, die im Schlaf der »revolutionären Amnesie« befangen waren, von der derselbe Paul Foot bei derselben Gelegenheit gesprochen hatte, und die vor allem die Revolutionäre aller Zeiten selbst befiel – die Neigung, Opfer zu vergessen, welche die eigene Partei gebracht hatte. Die Trommeln trommelten überhaupt nicht für menschliche Ohren. Manchen der Neusiedler fiel das sogar auf, nicht bewußt natürlich, aber als

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