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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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mußte, hat ihn das zerstört. Noch ein Verlust, und er ist hinüber.«
    Er betet mit Jamal – »Jeder richtet hier draußen seine Beschwerden und Bitten an Gott, so gut er kann, es steht keinem zu, darüber zu urteilen«, sagt sie.
    Simon malt jetzt die Taube auf Noahs Schulter.
    Sie muß mich da sitzen gesehen haben; ich bilde mir ein, daß sie mich vielleicht schon eine Weile beobachtet hat, wie seit Wochen immer wieder, ich sie ja auch. Wahrscheinlich, denke ich, und bin betrunken von der Idee, hat sie gewußt, was es bedeuten würde, wenn sie sich neben mich setzt. Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, bei den Gazellen oder den Hinden des Feldes: Stört nicht auf, weckt nicht die Liebe, bis es ihr gefällt. Ich habe noch mal ganz vorn angefangen, im Copperfield, bin jetzt bei der Stelle, wo er sich am Strand mit Klein-Emily übers Meer unterhält, über Grausamkeit in der Natur.
    »In der Bibel«, sagte Karins warme, heisere Stimme neben mir plötzlich, als ich am Wegdriften war, mich hinträumen wollte an diese englische Küste, wo die beiden Kinder miteinander ihre ernsten Gespräche führten, »steht der Mandelbaum für weißes Haar, Zeichen des Alters. Das ist im Buch Prediger – ›Es ist alles umsonst!‹ – wenn der Ton der Mühle leise wird, das heißt: der Mund, wenn die starken Männer sich krümmen, das heißt: die Beine. Barocke Sachen, Vergänglichkeit.«
    »Nicht in der Postmortalen, frag die Habimaus«, witzle ich schwächlich.
    Ich spüre ihre Schulter an meiner Schulter. Ich klappe mein Buch zu, lege den Kopf nach hinten: weiße Blütenränder, zartrosa Blätter. »Der Erwachende«, sagt Skriba, so nennen sie den Baum hier, weil er so früh im Jahr schon blüht. Ich schaue auf meine Armbanduhr: zwanzig Minuten bis zur nächsten Schicht an den Zäunen. Vor allem Ausbesserungen in Bodennähe müssen heute sein, anscheinend krabbeln manchmal Viecher durch, Mäuse, Schlangen. »Was willst du von mir, Robert Rolf?« sagt sie, nicht böse, nur ein bißchen erschöpft.
    Ich lache kurz: »Du bist gut, was will ich. Deine Augen glänzen mit den Kerzen beim Abendessen, du lächelst, wenn ich dich morgens grüße, am Brunnen, du gibst mir zuerst vom Kuchen, wenn du was gebacken hast. Was soll ich von dir wollen? Ich finde dich fantastisch, Karin. Du hast ein hartes Gesicht, die Spitzen deiner Haare sind stumpf, deine Arme sind muskulös wie bei ’nem Schlagzeuger, du bist dreifache Mutter und hast Drogenerfahrungen, und ich stehe eigentlich auf kleine Mädchen. Aber in dich, Karin, in dich bin ich brutal verschossen.«
    Sie lacht und nickt, hm hm, war ja klar, wollte es nur mal live hören.
    Wir verstehen uns.
    Chica ruft: nächste Schicht.
    Ich stehe auf, Karin auch.
    Wir sehen uns an, und ich sage: »Ist ja alles harmlos, solange du’s nicht erwiderst, oder?«
    »Ist aber nicht harmlos«, sagt sie, und gibt mir ganz kurz die linke Hand in meine rechte, weil diese Seite unserer Körper abgewandt ist vom Innern des Camps, von den andern, von unserer kleinen Öffentlichkeit. Ich drücke diese heiße Hand, und sie drückt meine. Dann sagt sie mir das über Jim, sehr ruhig, und daß es zwischen ihr und mir nichts geben kann, außer das bißchen verstecktes Wissen, was wir voneinander halten.
    Ich bin glücklich. Der Durst ist weg, das hier ist lebendiges Wasser.
    Ich bin unglücklich: Es darf nicht sein.

Achthundertvierzigster Tag
    Letzte Nacht bin ich zweimal aufgewacht; aus Angst, und wußte nicht mal, wovor. In der Phase unmittelbar vor dem Totentanz hatte ich das öfter, wenn Judith nicht da war, also bei meinen letzten Arbeitsaufenthalten in Frankfurt oder wenn ich zum Schreiben in die Freiburger Wohnung abgetaucht bin – hatte mich so dran gewöhnt, daß im Nebenzimmer ein Mensch schläft, daß ich Angst bekam, wenn – stimmt das?
    Nein, eigentlich das Gegenteil: Ich hatte Angst, nie mehr zur Ruhe zu kommen.
    Wann habe ich gemerkt, daß ich als Schriftsteller erledigt bin, daß es nicht klappt, daß ich im Journalismus alt und geschwätzig werden muß? Die Romanform kann alles, bloß kann ich die Romanform nicht. Wann habe ich das eingesehen? Ich werde mich nicht auf einen ­Bauern­hof zurückziehen und »Krieg und Frieden« schreiben, ich könnte mich jahrelang im Bett verkriechen, mit dem handlichsten Laptop der Welt, und fände doch keine verlorene Zeit wieder, keinem noch so gemächlich vor sich hin exemplarisierenden Dubliner Tag wäre ich gewachsen, meine Zettel lägen, schriebe

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