Für immer in Honig
ich welche voll, da wie tot, unfähig, irgendwas zu träumen, kein Feuer auf dem Mond, kein Lied des Henkers, kein Zustand wie Muzak, auf vierhundert Seiten verteilt, keine Welt, kein Durchgang durch die Finsternis, keine Totalität, kein Mann, zu viele Eigenschaften, kein Wandeln für die Schläfer, kein Fluß diesseits des Ufers, keine Ästhetik, kein Widerstand, keine Legende, keine Augen im Kopf und erst recht keine im Honig, niemals für immer.
Wann habe ich das eingesehen? Kurz vor Valerie, flüstert mir was, und irgendwie klingt das wahr. Deshalb habe ich diesen ganzen Verhau, diese Situation überhaupt angezettelt: Gültigen Text herstellen ging nicht, aber Wirkung mußte sein, ich wollte spüren, daß es mich noch gab, deshalb die gelebte Anstößigkeit. Die pädosophische Performancenovelle: eine neue Gattung. Ich weiß nicht mehr, welcher Autor das war, der gesagt hat: Weil ich nicht sehr fromm bin, ist der Ort meiner Hoffnung auf Erlösung ein Bücherregal nach meinem Tod. Daran hatte ich geglaubt, und das erwies sich als unerreichbar. Nicht mal mit me taphysischer Spekulation konnte ich mich trösten – Marx schreibt ja irgendwo, im Dampfmaschinenzeitalter könne niemand, auch kein Genie von homerischen Graden, ein Epos wie die »Odyssee« verfassen, der Stand der Produktivkräfte und ihres gesellschaftlichen Gebrauchs ziehe den Künsten engste Grenzen, so sehr er ihnen andererseits immer neue Aussichten eröffnet.
Aber was wußte Marx, pardon, von den homerischen Genies? Er hat das selber sehr schnell aufgegeben, Dichter werden zu wollen, and wisely so. Ich habe mich länger damit geplagt, wg. Dickschädeligkeit, und weil es nichts gab, das ich so empfänglich für meine Anstrengungen fand wie Marx die Philosophie und später deren Untertunnelung. Als ich sehr viel Wissen darüber angesammelt hatte, wie’s geht, mußte ich begreifen, daß ich’s zwar wußte, aber nicht konnte. Gar nicht verwunderlich, daß ich zu der Zeit dann, wie in einem kurzen trotzigen Aufflackern von Talent, Wortschatz und Stilwillen, immerhin meine wohl besten Zeitungsartikel geschrieben habe – nach dem Motto: nichts mehr zu verlieren. Immerhin, eine der notwendigen, wenn schon nicht hinreichenden Bedingungen der Romankunst habe ich so, mit den Jahren, den Texten, Versuchen, Romantorsi both published and unpublished, paradoxerweise immer besser erfüllt: daß man sich nichts wegerpressen lassen darf, daß der Weg zur Objektivität die manchmal schmerzhaft, manchmal manisch glücklich erspürte und erdachte Subjektivität ist, daß man unduldsam sein muß, wenn einem andere Ratschläge geben oder Daumenschrauben anlegen wollen, gemäß den ex- oder impliziten Regeln der Vermittlerberufe.
Howard Rodman, ich kann’s immer noch auswendig, hier draußen auf den Golanhöhen, am wahrscheinlich doch äußersten Rand meines zweiten, unverdienten und vermutlich letzten Lebens: »When they want to change your words, don’t let them send you to lawyers, don’t let them run their rationalizations, don’t let them scare you … hit them .« Ich hab’s versucht, und ein paar Leute werden sich beim Anblick ihrer blauen Flecken ein Weilchen dran erinnern, wenn sie nicht längst gefressen sind. Ich hab’s versucht. Das ist nicht der siebte Himmel und nicht das Bücherregal Nachwelt. Aber doch mehr als gar nichts.
Wann werden wir frei sein?
Achthundertzweiundvierzigster Tag
Die Chica wachst ihre Beine, ist das zu fassen? Karin hat es mir lachend erzählt, denn es gibt natürlich eigene Frauenduschen hier, d. h. eigene Zeiten der Duschenbenutzung. Nicht, daß es wirklich albern wäre, es macht sie mir sogar sympathisch: Sie guckt auf Style, verstehst du, selbst am Rand des Alls. Außerdem soll man immer so viel fürs Äußere tun, wie der soziale Status grad erlaubt, und sie ist hier Kommandantin.
David Bowie hat sich ja auch nach jeder erfolgreichen Platte die Zähne neu machen lassen, bzw. ich selbst hab’s getan, wenn mir grad mal ein Chefredakteursposten bei der Poppresse oder ein Feuilletonjob beim Gernegroßkapital zufiel, und neue Brillen gab’s auch stets im Festanstellungstakt. Daß ich jetzt keine Brille brauche, dafür aber auch kein hundertprozentiger Mensch mehr bin, ist eine der kleinen Ironien des Lebens, ach geh doch weg.
Wir haben uns heute das erste Mal geküßt.
Fast hätte der kleine John uns gesehen, er kam mit seinem kleinen Holztier auf Rädern um die Ölfässerecke, wo Jamal immer
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