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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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gar keinen Pfeil zum Klavier, was wäre dann anders gewesen? Oder wenn du nur zwei Leute gehabt hättest: Cordula und deine Mama, und Cordula kriegt das Klavier und deine Mama das Messer, und niemand kriegt den Bus? Was wäre anders gewesen?«
    Der Junge forschte in Klemens’ Gesicht, ob die Antwort da vielleicht irgendwo schon stand. Die Falte verschwand, dann kam sie wieder, dann schaute das Kind auf die Zeichnung.
    »Andersrum«, sagte Klemens, ein Hinweis.
    Die Klangwellen rollten und rollten. Valerie schüttete Cornflakes zu den Bananenschnitzen in die Schüssel. Der Junge sagte: »Andersrum ist … andersrum geht nur, wenn ich es so mache wie hier. Wenn jedes Männchen bloß eine Sache hat, und diese Sache genau zu dem Männchen gehört.«
    »Genau. Wenn zwei Männchen eine Sache haben …«
    »Dann weiß ich nicht, wenn ich es umdrehen will, zu welchem Männchen ich den einen Pfeil malen soll. Ich muß ihn auseinanderreißen.«
    »Und wenn es weniger Männchen als Sachen gibt?«
    »Dann bleiben beim … andersrum Sachen ohne Männchen.«
    »Richtig. Das ist die Abbildung, die du gemacht hast: eine, die man umkehren kann. Und so was nennen wir einen Isomorphismus.«
    »Amen«, sagte Cordula, und ging von Debussy zu den Eröffnungstakten der Powerballade »Amazing« von Aerosmith über. Valerie war glücklich und stolz auf den Jungen, sie goß Milch in die Schüssel. Sie wußte, daß das, was Klemens ihrem Sohn beibrachte, die Wahrheit war, und das, worin sie lebte, etwas irgendwie weniger Gültiges namens »Wirklichkeit«, sie wußte, daß das, was auf die große Malpappe gezeichnet war, mit dem zu tun hatte, was sie tat, wenn sie ihre Messer war oder ihre Messer sie selbst waren, und mit dem Unterschied zwischen Wirklichkeit und Wahrheit: Es hätte so sein müssen wie auf der Pappe, aber es war nicht so, und das hieß verkehrte Welt und war letztlich ein verzwickter Zusammenhang namens »Magie«, während das auf dem Karton ein Zusammenhang namens »Vernunft« war, worum sich aber, soweit es Valerie betraf, ruhig die an einem geheimen Ort in Sicherheit gebrachte Lena Dieringshofen oder die unter verschiedenen neuen Namen, wie vor dem Totentanz, durch die Welt reisende Jennifer Brunner kümmern sollten, denn all dieses Zeug war wirklich zu langweilig, um auch nur als Entspannungsübung für die Messerfrau zu taugen, zwischen den stundenplanmäßig verläßlichen Begegnungen mit Gefahr für Leib und Leben, die den größten Teil ihres Lebens ausmachten. Urlaub: Die Sonne schien, der Junge lernte, die Musik gefiel ihr und es gab weit und breit nichts, das man hätte töten müssen.
    4  Es sollte nach Japan fast drei Jahre dauern, bevor Andy und Hillary einander wieder trafen.
    In der Zwischenzeit aber telefonierten sie häufig, bis zu dreimal die Woche, wo immer sie waren. Sie erzählte ihm, wie sehr sie manchmal Sehnsucht nach den alten, simpel anstrengenden Zeiten hatte: den Zeiten der Erziehungsreform in Arkansas, der Kampagne für Bill und selbst der Zeit, als sie anfing, sich nach all den Jahren des Taktierens, des Exils und der Schläue an der Seite eines charismatischen, aber unzuverlässigen Halunken eine eigene Karriere aufzubauen: »Sie konnten es nicht fassen«, lachte sie einmal in den Hörer, und Andy, zu der Zeit mit dem Schiff im Mittelmeer unterwegs, sah derweil die Sonne aufgehen und grinste breit, aus Freude über die knacksende elektrische Energie, die diese Frau nicht nur in die Gegenwart, sondern selbst in nostalgische Momente investierte, »das Wall Street Journal wäre fast verrückt geworden: Jetzt haben wir Clinton und die Clintonistas endlich überstanden, zum Glück kommt Bush, und was passiert? Sie wird Senatorin. Peggy Noonan hat sich die Finger wundgeschrieben mit ihren Abwehrzaubersprüchen – an einen Passus erinnere ich mich sehr gut: Hillary ist ein Monster, du schließt die Tür ab, und sie kommt durchs Fenster, du verriegelst das Fenster, und sie bricht durch den Dielenboden – es ist wie in diesem Film ›Alien‹, Hillary lebt in Tom Daschles Eingeweiden, und just da die Musik leiser wird und die Szene sich zu beruhigen scheint, bricht sie aus Toms Brust hervor: Iiik! Iiik!«
    Andy tat ihr den Gefallen gern, mit einzustimmen: »Iiik! Iiik!«, und danach wurde das eine Weile der Running Gag zwischen ihnen: Sein Telefon jodelte, er nahm ab, und die Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika begrüßte ihn, etwa um fünf Uhr morgens Athener Ortszeit, mit: »Iiik!

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